Vom Keller ins Café (Kellerkultur Göttingen)

In Bühne frei by Nora Zapf1 Comment

Unter “Bühne frei” präsentiert Babelsprech.org Lesungs- und Veranstaltungsformate im deutschsprachigen Raum, die nicht an eine bestimmte Institution gebunden sind und auf dem Experimentier- und Spieltrieb der Veranstalter basieren. Ob Lesebühnen, Performancereihen oder interdisziplinäre Initiativen, wesentlich ist die sub-institutionelle Organsiationsform, deren Bedeutung für die selbstbestimmte Kommunikation junger Lyriker_innen kaum hoch genug geschätzt werden kann. Nach ART VISUALS & POETRY (Wien)NIEMERLANG (Berlin/Leipzig) dem Literaturklub (Köln), und den Undercover (Frankfurt) stellt Nora Zapf heute die Reihe Kellerkultur aus Göttingen vor.

Vom Keller ins Café

Die junge Lyrik kommt vom Untergrund an die Oberfläche. Die Göttinger Lesereihe Kellerkultur.

Was vor zwei Jahren in den Kellern des Clubs Pools angefangen hat, die Göttinger junge Lesereihe Kellerkultur, ist mittlerweile in ein Café gewandert. Das ist die Wendeltreppe rauf, aus dem Haus rechts, dann die nächste Straße wieder rechts in die Geismar Landstraße, unweit des kleinen Flusses: ungefähr sechs bis sieben Gehminuten. Schon hat man das neue Ziel erreicht, das Café Kabale, das von einem Kollektiv geleitet wird und das neben Kunst auch Diskussionen und Partys veranstaltet. Die Kellerkultur ist aus dem Keller an die Oberfläche gekommen, das Café ist ein schöner neuer Ort, um die selbstorganisierte Underground-Lesereihe junger Literatur weiterzuführen.

Auch wenn die Stadt Göttingen einiges an Literatur zu bieten hat, organisiert etwa vom Literarischen Zentrum, örtlichen Poetry Slams oder von der Universität aus, hat eines vorher auf jeden Fall gefehlt: eine Bühne, die abseits der großen Verlage und etablierten Orte Lesungen für junge Literatur veranstaltet. Deshalb hat sich 2013 eine Gruppe von Student_innen zusammengetan, von denen viele bereits länger in der Literatur- oder Kulturvermittlung tätig waren: Nikola Müller, Hartmut Hades Hombrecher und Kevin Kempke.

Weil das Publikum stark studentisch geprägt ist, richtet sich die Lesereihe nach den Semesterzeiten. Oft lesen Lyriker_innen, aber auch andere Gattungen kommen zu Wort, vor allem Prosa. Der Berliner Lyriker Linus Westheuser war bei der Auftaktlesung der Kellerkultur zusammen mit der Lyrikerin Rike Scheffler im Januar 2013 im Club Pools zu Gast und berichtet: „die stimmung war ganz fantastisch, der raum – tatsächlich ein keller – war voll und irgendwie dunkel-intim, das publikum jung und wahnsinnig aufmerksam. man hatte das gefühl, es würde grad etwas passieren.“ Es sei ein erfrischender Kontrast zum Berliner Szene-Kosmos gewesen, meint Linus. Die Kellerkultur wirke nicht so ritualisiert, da nicht alle Zuhörer_innen auch selbst schreiben und sich persönlich kennen würden, sondern das junge Publikum der Literaturszene eher fremd sei, aber umso größere Lust hätte, sich einzulassen, mitzudiskutieren. Der Berliner Lyriker fasst zusammen: „ich stand danach rotbäckig und immer weiterredend in der raucherecke und fand alles ganz toll.“ (Link zum Tageblatt: http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Kultur/Kultur-vor-Ort/Autoren-aus-Berlin-toben-sich-im-Pools-aus. Auch dieser Blogbeitrag ist interessant: https://ramagens.wordpress.com/2013/01/21/theodor-w-adorno-erschlagt-am-pazifik-eine-biene/).

Es gab schon viele Lesungen der Kellerkultur in den letzten zwei Jahren, unter anderem mit jungen Literat_innen wie Fionna Kessler, Moira Frank, Tristan Marquardt und Kai Mertig. Vergangene Woche Donnerstag gab es wieder einmal eine neue Ausgabe der Kellerkultur, diesmal mit der Lyrikerin Sandra Burkhardt, der Prosaautorin Alina Herbing und dem Lyriker Moritz Gause. Das klassische Konzept einer Lesung von ein bis zwei Autor_innen mit Moderation und Publikumsdiskussion wurde ein bisschen verändert: die drei Autor_innen lasen diesmal ohne Moderation. Das Café Kabale war voll bis zum letzten Stuhl, so mancher musste sich auf den Boden setzen, um zuzuhören. Hinter dem Lesetisch lief eine Beamer-Projektion auf der Leinwand, ein Schritt in Richtung intermedialer Herangehensweise, den das Organisationsteam in Zukunft gern noch ausweiten würde. Diesmal waren darauf Zeichnungen zu den Gedichten von Sandra Burkhardt zu sehen, Illustrationen zu ihrem Zyklus „Die Bahn eines Fisches“.

Alina Herbing, die in Hildesheim Literarisches Schreiben studiert hat, erzählt von dem Abend: „Ich wurde wunderbar betreut, und immer mit individuellen Longdrinks und entspannten Literaturgesprächen versorgt. Die Lesung selbst war gemütlich und konzentriert auf die Texte, die ziemlich vielseitig ausgewählt und zusammengestellt waren. Danach saßen wir dann noch Stunden, die viel zu schnell vergingen, im Licht der Stehlampen.“

Die drei Organisator_innen freuen sich, dass die Stimmung des Abends so gut war und dass danach noch lange über Literatur und –Betrieb diskutiert wurde. Von ihrer Seite wird trotz unklarer finanzieller Situation schon wieder ein Treffen angedacht, um über einen neuen Termin und neue Gäste für die nächste Lesung der Kellerkultur nachzudenken. Man darf schon gespannt sein, wer als nächstes alles mit dabei sein wird!

 

 

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