Musik der Dichtung 5 : Das Weltkonvolut

In Musik der Dichtung by Robert Prosser1 Comment

Fluxus war gestern, doch das Happening bleibt: Das Weltkonvolut (Fabian Faltin / Jörg Zemmler / Robert Prosser)

 

Zemmler/Prosser/Faltin @ Lockstoff! Dschungel Wien, 5. Novemberr 2013. (c) Konstantin Reyer

Zemmler/Prosser/Faltin @ Lockstoff! Dschungel Wien, 5. Novemberr 2013. (c) Konstantin Reyer

 

Aus dem Clash dreier unterschiedlicher künstlerischer Auffassungen kreiert die Formation Das Weltkonvolut seit Anfang 2013 ein Bühnenerlebnis, welches sich salopp als „synergetische Ritualästhetik“ bezeichnen ließe. Das Schauspiel der Intensität, von Mantra, Rap und Gesang hervorgerufen, wildert musikalisch vom Begräbnismarsch bis hin zum Popsong in jeglichem Revier, um der Vision wildwüchsiger, glücklichmachender Performanz-Ekstase ein paar Takte näher zu kommen, wie im Video zu Was es gibt (live @ Tripledecker Festival, Forum Stadtpark Graz, März 2013. Text: Jörg Zemmler) zu sehen:

 

 

Barockgärtner und Autor Fabian Faltin (dem das Schlagzeugspiel von niemand geringerem beigebracht wurde als dem jetzigen Drummer von Christina Stürmer, was a) in Österreich einem Ritterschlag gleichkommt und b) insgeheim offenbart, wie runtergekommen die austriakische Musikszene generell ist, um durch dieses von Starmania vorbereiteten Schlamassel c) eine ideale Grundlage für die der Improvisation und der Verausgabung verpflichteten Kreationen des Weltkonvolutes zu schaffen) besitzt ein feines Gespür für das musikalische Arrangement, dreht Sticks und bringt mitunter auch Sägen, Scheren und modifizierte Küchengeräte zum Einsatz.

Als ähnlich verspielt an Saiten, Effekt- und Loopgeräten werkend erweist sich Jörg Zemmler. Der Musiker und Dichter bringt trockenen Humor mit morbider Schlagseite ins Spiel und vermag mit sparsam gesetzten Akzenten ebenso zu zaubern wie mit Gitarrenriffs a la Slash. Zemmler verbindet Freistil-Attitüde mit Bühnenerfahrung, egal, ob in der Weltkonvoluts-Kombo oder solo:

 

 

Als Bindeglied zwischen beiden fungiert Robert Prosser, der poetische Textkaskaden beisteuert und gern erzählt, was für eine Herausforderung an die Stimme es sei, über Schlagzeug und Verstärker zu performen. Mittlerweile sind die Stimmbänder trainiert, wie sich auch die bisherigen Auftritte und Musikprojekte (z.b. S.P.I.R.I.T.U.S.) insofern bezahlt machen, als ein Gefühl für Rhythmik und Sprachfluss herangewachsen ist.

Meist funktioniert der Arbeitsablauf simpel: Faltin beginnt ins Blaue zu spielen, Zemmler setzt nach und Prosser sucht in den im Probekeller verstreuten Manuskriptseiten textlich vermeintlich Passendes. Aus mehreren solcher Impro-Sessions destilliert sich schlußendlich das Ergebnis, wie beispielsweise diese erste von drei Miniaturen, eine Sprachinstallation aus Texten von Faltin und Prosser, unter Einsatz einer Bosch-Stichsäge (ohne Sägeblatt), von Zemmler dank Manipulation magnetischer Felder der Gitarrensaiten als falsche Tuba verwendet, aufgeführt:

 

(gleichfalls ein Mitschnitt vom Grazer Tripledecker, das dritte Video dieser Serie – eine armenische Trinkrede auf die Toten – findet sich hier.)

Apropos Probekeller: Die dortigen Impromptu-Sessions können – als Protest gegen die Entmystifizierung der Welt – zum Beispiel solcherart vonstatten gehen:

 

 

So stegreifartig dies wirken mag, es geht auch professionell(er), wie z.B. an MALUS erkennbar, einer Performance, die Fabian Faltin und Robert Prosser im Rahmen des Elevate Spektakels für das hoerGEREDE Festival im Oktober 2013 in Graz entwickelten. MALUS erzählt die Geschichte des gemeinen Apfels, in der Botanik als Malus Domestica bezeichneten, und nimmt das Publikum mit auf eine Reise von den mystischen Ursprüngen als vermeintliche Frucht des Paradieses bis zu den futuristisch anmutenden Apple-Computern des 21. Jahrhunderts – mit vielen überraschenden, ekstatischen und humorvollen Zwischenstationen, die das vielfältige Spektrum dieses Obstes beleuchten, von der Verwendung als bloßes Nahrungsmittel bis hin zum religiös aufgeladenen Symbol:

 

 

MALUS verbindet Schattentheater mit Hip-Hop, PowerPoint-Animationen mit Martial-Arts und informative Einführungen in die Obstzucht mit mitreißendem Gesang und hypnotischem Gebet, wie in seiner Gesamtheit hier zu sehen ist.

Abschließen möchten wie diese kurze Einführung in den Kosmos des Weltkonvolutes mit jenem gleichsam bereits vertonten Text, welchem der Bandname entnommen wurde:

 

In einem trügerischen Gefühlszustand, der schal nach Befriedigung schmeckt, nehme ich den Globus in meine Hände, klopfe ans Ei des Entdeckers, an die dünne, grünblaue Schale diese Kolumbuslarve und Flügel drücken von innen dagegen. Bis in die Fingerspitzen sinkt mir die Sinnlichkeit des Möglichen die Lust am Verschwinden dirigiert entlang der Küstenverläufe, lässt vorsichtig ins Blau tippen, ins Symbol der wässrigen Oberfläche, während Gradlinien zu Rippen werden schnür ich mir äquatorial ein Inseldiadem um Taille oder Stirn, leuchte damit den Mariengraben aus, leuchte an gegen das Weiß Antarktikas.

Aber was dauert schon ewig, was bedeutet ewiges Eis, also komm, fang den Globus, also komm fang den Globus, und ich dreh und dreh ihn zu rasendem Blau bis Ozeane überschwappen in den versteckten Zellen der Geistmasse, im Weltkonvolut des Raumes versuchen Absinthflammen aus der Stirn annähernd ein drittes Auge rauszulecken, während man im alkoholischen Grün des Gestrüpps liegt und von oben zuckersüße Hitze tropf, eine gefährliche Süße fällt von der Mittagshitze in den Menschen der da liegt in den versteckten Zellen der Weltmasse, im Geistkonvolut des Raumes wird das Bewusstsein ausgerollt, um Geheimlogen Blocksberge zu entdecken und irgendwo in den versteckten Zellen der Weltmasse, im Geistkonvolut des Raumes wird durch Rezitation die Brücke in die hintersten versteckten Winkel geschlagen, dringe vor in Brachländer und aufgelassene Industrieviertel, welche in den Leerstellen der geteerten Ordnung existieren, hochprozentig gefieder präsent in den Lücken des Stadtnetzes, und dort wartet das Unterbewusstsein auf Gesellschaft und Abenteuer in den versteckten Zellen der Geistmasse

im Weltkonvolut des Raumes an Wänden gelehnt greift die Vibration dahinter auf mich über, auf meinem Körper beginnt ein rattenkurz struppiges Rattenfell zu wachsen Zeichen des Kurzschlusses in jenem Augenblick wenn das Abseits der Notausgänge sich mit Kaleidoskopzentren vereinigt, sie sich gegenseitig umgarnen und fangen im Laserstrahl sich jagen im Lichtzucken einen Stroboskopenpulsschlag ans verschwitzte nackte Dasein geholt und schamlos im Mittelpunkt Solar Plexus der Stadt sonneneingeflochten die Drum ’n Bass-Partys werden Lasernetzwerke zu Spinnfäden für die eine Beute den Körper aus unzähligen Schweißtropfen in diesem Augenblick wenn er von der Decke kondensiert die Finger nach oben strecken, dorthin von wo das Licht zu kommen scheint.

Aber was dauert schon ewig, was bedeutet ewiges Eis, also komm, fang den Globus, also komm fang den Globus, und ich dreh und dreh ihn zu rasendem Blau, bis Ozeane überschwappen in den versteckten Zellen der Geistmasse, im Weltkonvolut des Raumes eine Handvoll Überwachungskameras und im 5-Minuten-Schritt der großen Bahnhofsuhr rauschen ringsum Frühling, Nacht und Möglichkeit in voller Fahrt hinein in Clubs kracht das Vergnügen und ich summ die ersten Lieder mit: Bring Back Sweet Memories und Intergalactica klatscht Zeit an Fensterfronten, das Ziffernblatt ein Strichcode im Genick die Zeit zerfällt in leuchtende Fetzen, schält sich aus dem kleinen Universum, wird frei, und unbedeutend schmieg ich mich an Leiber und Mundhöhlen, gleite hindurch zu abseitiger Wand, die Vibration erklimmt über Fingerspitzen Synapsen und Musik im Mauerwerk verborgen als Essenz ein innerstes Tempelgeheimnis hinter Zungen vermauert, warmer Speichel trägt Schauer mit sich dort, läuft mir über den Rücken im Tempo des Rapid-Eye-Movements ergeben sich aufblitzend Bild Blaulicht: ein Uhrengehäuse im Fleisch, dem Körper die Bahnhofsuhr samt technischem Vokabular eingepflanzt, darin tickt das Blut und zählt den Countdown bis zur Implosion im Moment des Aufwachens ist der Körper Rauschen und Schillern ist ein Fluss, nur durch Zufall in Haut wie Ufer gefasst. (Text: Robert Prosser, abgedruckt in: STROM – Ausufernde Prosa. Klever 2009)

 

 

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