Musik der Dichtung 4 : Tonverbrechung und Raumzeitpiraten

In Musik der Dichtung by Sophie Reyer0 Comments

Tonverbrechung und Raumzeitpiraten

Die Musikgruppe Tonverbrechung und die Performance-Art-Gruppe RaumZeitPiraten aus Köln schließen sich für das Projekt „VerbrecherInnen von Innen“ zusammen, um eine interaktive, für die Handlungen der TeilnehmerInnen offene Raum/Klanginstallation zu gestalten.

Hierfür bilden das freie Sprechen über Verbrechen, die Texte der Autorin Sophie Reyer zu diesem Thema und einige Klassiker der Analyse dieses Themas (z.B. Focault’s „Überwachen und Strafen“) den Ausgangspunkt.

Die KünstlerInnen erzeugen in ihrer Installation eine Raum- und Klangskulptur, indem sie durch die Verwendung ihrer Instrumente einen stehenden Raumklang und keine lineare Entwicklungsmusik erzeugen und den Raum visuell bespielen.

Die Zuschauer können diese Installation begehen, betreten und mit ihr in Form von verbalen, schriftlichen, klanglichen oder auch visuellen Improvisationen interagieren, sich zum Thema in unterschiedlichen Formen äußern.

 

Tonverbrechung:

Elisabeth Fügemann – Cello
Lukas Truniger – Computermusik
Leonard Nicola Hein – Gitarre
Sophie Reyer – Text

RaumZeitPiraten:

Tobias Daemgen
Moritz Ellerich

Video:

Richard Eisenach

 

 

Textauszug: 

Zwangsernährung- nach Protokollen von RAF – Terroriste 

Zu essen. Man hört einfach auf. Alles andre ist schlimmer. Dass man ein Gefangener des Systems ist. Man will sich jetzt eben nicht mehr nähren lassen von dem System. Das ist alles. Man beschließt es. Da können keine Gefühle rein kommen. Das ist eine Entscheidung. Und es hat mit Willensstärke zu tun. Was die mit dir machen.

Sie kennen die Fakten. Sie können sie nicht deuten. Nicht zusammen fügen. Egal. Alles dreht sich ja nur um die Abrufbarkeit. Nicht um Wahrheitsgehalt. Sie quälen dich. Du gehst verloren.

Es gibt Herbste, die fett machen und Herbste die ohne Nahrung sind, denkst du. Und dass du nicht genährt wirst. Nicht von diesem Staat. So wie alle, die aus den anderen Schichten kommen, die unterschichtet werden. Am Freitag allgemeine Steigerung der Brutalität im Gefängnis. Wie das aussieht. Man ist eine Sache und bekommt einen Schlauch durch die Nase geschoben, der zunächst schlank ist. Später wird er dicker, erinnert an einen Finger, ist kaum aufzuschlucken mit den Nüstern. Egal. Rein. Sie verweigern die Nahrung. Na bitte, das wird doch. Dann steht da ein Kübel, der voll ist. Wieviel Liter das wohl sind. Egal. Der Schlauch an den Trichter gepfropft, reinkippen. In kleinen Mengen. Dann: Pumpen, pumpen. Das Zeug ein Schwall, schwappt in die Nase rein, und du schwappst über. Das schießt hinterm Gaumen runter, du kannst nicht mehr schlucken, du bist übervoll mit der Brühe. Du bist ein Gefäß mit Wasser, die Oberfläche zittert, alles steigt hoch, der Magen rinnt aus. Du musst Luft heraus würgen, bleiben sie sitzen, Frau Peters. An den Stuhl gebunden. Ein Rülpser. Das ist soviel ich gehe über. Nein, du wirst den Mund nicht aufmachen. Ihr Problem. Sollen sie sehen, wie sie dich kriegen. Das muss durch die Nase sein, wenn. Tut mir leid. Na, kriegt ihr ihn auf. Nein. Holt doch euren Bullenspezialisten. Reißt mir doch rum an Ohr und Unterkiefer. Dehnt, quetscht und zerdätscht mir das Läppchen. Wird nichts, tut mir Leid. Der Schlauch durch die Nase, ein Knacksen. Schon seltsam, aus wie viel man da Innen besteht, oder. Die rechte Kopfhälfte wird riesig, ist ein großer roter Luftballon, kurz vorm Zerreißen. Die Tränen drücken sich von selbst aus den Augen heraus. Ich zerspringe. Weiß nicht mehr, wo ich bin. Sie schiebt weiter. Will den Magen erreichen. Nein. Zähne zusammen gebissen. Wo bin ich.

Eine Stimme: Wollen wir ihr ein Schlückchen geben.

Der Luftballon drückt nach außen, drückt gegen das Gaumenzäpfchen, du musst ihn jetzt steigen lassen, Mund auf, Atem auspusten. Du schnappst nach Luft. Du bist ein Fisch.

Sie ergreifen freilich die Gelegenheit, schieben dir die Klammer zwischen die Zähne, der Schlauch im Keil, der Schlauch wird dir in den Mund hinein gedrückt.

Später denkst du: Der ist in den Nebenhöhlen stecken geblieben, der Schlauch. Der kam nie an im Magen. Der Brei verschwindet irgendwo, bleibt in dir hängen. Blutige Kotze aus der Nase, wie Luftballonhaut. Rest des Luftballons oder. Ist das eine Kopfgrippe. Du hast Schleier vor den Augen.

Man kann in drei Tagen den Willen eines Menschen brechen.

Zwangsernährung führt auf Dauer zu inneren Verletzungen und beinhaltet stets die Gefahr einer Lungenentzündung und eines Erstickungstodes.

Ersticken. Ersticken im Herbst.

Lasst mich.

Wenn du noch einmal kotzt, gibt’s keine Freistunde.

Ja.

Mein Anwalt. Ich will.

Der Anwalt muss zu ihnen kommen.

Eine gelbliche Substanz soll dir eingeflößt werden, eine Brühe. Ein Gemansch aus Eiweiß, Vitaminen, Zitrone, erklären sie ihr, daher wahrscheinlich die Farbe.  Sie wehrt sich nicht. Sie macht nichts aus freiem Willen. Man hält sie an Armen und beinen fest.

Sie müssen trinken, Fräulein.

Lassen sie mich.

Nächstes Mal kommen wir schon mittags.

Na have fun.

Sie sind ironisch.

Stille.

Wieder die Bahre, der Zwang wird ein Ritual, heute die doppelte Menge, ein Liter Gelbsucht, sie spürt ihn am Gaumenzäpfchen. Dann dicker Brei. Fremde Finger halten dir die Nase zu, schieben dir einen Gummikeil in den Mund, druck gegen Kiefer und Ohren. Volle Kraft voraus. Stöße im inneren. Das erinnert sie an den Luftballon. Der wird wieder zum Bamst unter ihrem Schädel, schwillt an. Aber nein, es kann doch gar kein Luftballon sein. Luftballone sind leicht. Das hier ist eine zähe, breiige Masse, wetten, schluck nicht, spuck nicht, halt die Augen offen, denkt sie. Sie kotzt. Blut. Auch Blut. Ja. Eine runzelige rote Luftballonhaut. Wenn sie den Schlauch heraus ziehen und zuviel Luft im Bauch ist, dann wirst du einfach ausgepumpt, meine Liebe. Du verstehst. Aber bevor du zu motzen anfängst, mein Kind: Gehen wir einfach gar nicht mehr raus aus deinem Mund. Tut uns wirklich leid.

Heute das fünfte Mal. Soll sie zu zählen aufhören. Diesmal schnallen sie sie an einen Friseurstuhl, Täglich einmal.

Eine Struktur muss es geben oder.

Ins Lazarett mit ihr.

Der B- Flügel, oder.

Sie geht mit. 5- 6 Grüne, 2-3 Sanitäter, ein Arzt. Arzt mit Rufzeichen. Das ist wie Hohhn, denkt sie, wird auf den Operationsstuhl gezerrt. Was für eine Einrichtung. Die lässt sich dehnen, zerren. Sie an die Armlehnen festgeschnallt, als wär nix. Die Lederstücke, die Riemen drücken in die Handgelenke hinein.

Dann die Handschellen, über die Fußgelenke zugeklappt.

Sie wehrt sich immer noch.

Nimm sie an den Schultern, den Knien.

Ein Mensch wird gebrochen, wie geht das.

Dann: Filmriss.

Kommentar verfassen