Für alle, die nicht dabei sein konnten: hier ein paar Eindrücke zum Großen Tag der jungen Münchner Literatur, der am Samstag vor zwei Wochen im Einstein Kultur war. An dem alle 4 Hallen voll waren, 7 Stunden gelesen wurde, zwischendurch gelacht, geredet, getrunken, Halle gewechselt, aufs Klo, ein Bier, raus durch den Gang, eine Zigarette und wieder zurück zur nächsten Lesung. Dann zum Schluss lange tanzen. Eine Leserei, ein Austausch, eine Feierei, dass Holger Pils vom Lyrik Kabinett zur Süddeutschen Zeitung sagte: „Man wird sagen: man war dabei.“ Hier eine Art Protokoll für die, die nicht dabei waren:
Tag: Samstag, Januar, 24
Ort: Einstein Kultur, München (gelegen auf 48°8’6.45″N und 11°34’55.13″E)
Uhrzeit: 17.00 (es ist kalt draußen, der Himmel einigermaßen grau)
Die Kasse macht auf, es wartet schon eine ziemliche Schlange im Foyer im Keller des Einstein, von dem aus der Gang zu den 4 Hallen führt. In denen passiert heute alles. Die ersten Autorinnen trudeln ein, Begrüßungen, viel Händeschütteln, Jacken aufgehängt. Halle 1: ist Lesehalle. Hier kann man die Begrüßung von den Organisatorinnen Tristan Marquardt, Daniel Bayerstorfer und Nora Zapf hören, wo kurz der Charakter und das Zustandekommen des Tages erzählt wird: Institutionen und freie Schreibende sollen sich treffen, das vor allem, der Austausch über Hierarchien und Grenzen und Gattungen hinweg. Schon zur Begrüßung sind viele Leute da. Eine Installation von Jonas von Ostrowski gestaltet die Bühne, ein weißes Rechteck als Tisch, über dem eine goldene Lampe in der gleichen Form hängt, dahinter ein schwarzer Vorhang, vor dem das Weiß umso heller wirkt. Halle 2: hier ist der Backstage-Bereich für Künstlerinnen und Autorinnen, es gibt Salzstangen und Chips, ein Rückzugsraum für aufgeregte Lesende. Halle 3: Versorgungs- und Ausruhhalle, es gibt Chili oder Suppe, Bier oder Wein auf Sofas und an Bierbänken. An den Wänden hängen bunte Bilder von Catalina Schenk mit Körpern die an Schiele orientiert scheinen, einige Tiere sind darauf abgebildet, Instrumente: einen Flötisten sieht man zum Beispiel darauf oder eine Trommlerin. Über der Tür läuft eine Powerpoint in Endlosschleife, die verschiedene junge Lesebühnen und Poetry Slams der Stadt vorstellt. Am Büchertisch können Bücher der bereits veröffentlichten Autorinnen gekauft werden. Halle 4: die zweite Lesehalle. Hier sind die Sitzkissen auf Podesten in U-Form um den Lesetisch aufgestellt, hinter Tisch und Stuhl steht das Kunstwerk von Johannes Tassilo Walter, eine Variation zu dem Stuhl, auf dem gelesen wird.
Uhrzeit: 18:00 (immer noch kalt, es wird langsam dunkel)
Die Lesungen starten! Es kommen immer mehr Leute, die Hallen füllen sich und sind schon bei den ersten Lesungen fast voll. Es geht los mit Texten unter anderem von Lena Gorelik, Pierre Jarawan, und Mara-Daria Cojocaru. Nicht nur in ihrem Block sind Gattungen gemischt, Lena ist Prosaautorin, Pierre kommt aus der Münchner Poetry Slam Szene und Mara-Daria schreibt Lyrik. In jedem Block wechselt auch die Moderation, mal stellen Vertreter aus Lyrik Kabinett oder dem Literaturhaus die Lesenden vor, mal moderiert Ko Bylanzky, der bekannteste Moderator Münchner Poetry Slam Bühnen, oder Ayna Steigerwald von der Schreibwerkstatt der Uni. Ko sagt über den Tag: „Es ist eine schöne Initiative die unterschiedlichen Strömungen der Jungen Münchner Literatur in einer Veranstaltung zu vereinigen. Unterschiedliche Genres in einem Block nebeneinander zu stellen war die einzige Möglichkeit, die verschiedenen Szenen dazu zu bringen, über den eigenen Tellerrand zu blicken und sich auf etwas Neues einzulassen.“ Und Pia-Elisabeth Leuschner aus dem Lyrik Kabinett erklärt im Nachhinein: „Gefallen hat mir vor allem die Atmosphäre – eine Art euphorischer Neugier, die im ganzen Einstein herrschte, eine Freude an der Wahrnehmung des großen Facettenreichtums im Panorama der Autoren (auch an der wechselseitigen Wahrnehmung der Autorinnen und Autoren untereinander) und die zahlreichen spannenden Gespräche, die sich entlang des gesamten Abends entspannen.“ In jeder Lesung ergibt sich eine andere Stimmung, es hängt ab davon, ob es ruhige zarte Texte oder derbe witzige oder beschreibend erzählende sind. Das Gelände ist groß, immer wieder wird zwischen den Hallen gewechselt, Türen gehen auf und zu, im Gang rennt man sich über den Weg. Es lesen zu dieser Stunde zum Beispiel Katharina Adler, Verena Fiebiger, es gibt auch die Blöcke der Zeitschrift Parsimonie und der Lesereihe „meine drei lyrischen ichs“, bei der platzt Halle 4 aus allen Kanten und Kissen. Man sieht vor lauter Leuten die Bühne nicht.
Uhrzeit: gegen 21:00 (die Lichter der Hallen blitzen, die Luft riecht nach viel Publikum)
Es muss für kurze Zeit einen Einlassstopp geben, die Hallen sind 520 Leute schwer, die sich auf die Kissen und Stühle verteilen. Die Autorin Ricarda Kiel sagt über den Tag: „Eine schöne, offene Stimmung und viele tolle Texte (und so schön gelesen) und ein gutes Durcheinander (also kein unorganisiertes! ein lebendiges).“ Es wird eifrig gelesen, zum Beispiel von der Akademie des Schreibens in einer Art Podiumsdiskussion zu fünft, während Heike Fröhlich Gedichte liest. Einige brauchen schon eine Pause, bisschen Suppe, bisschen setzen, bisschen Bier. Andere gehen weiter zu Lesungen, der italienische Lyriker Federico Italiano moderiert 2 Lyrikerinnen und das Romandebut von Nina Sahm, die Slam-Größe Alex Burkhard trägt neue Texte vor. Die Schreibwerkstatt der Uni, Gedichte, Prosa, Kurztexte und so weiter. Langsam neigen sich die Lesestunden dem Ende zu, aber beide Hallen sind immer noch randvoll. Kurz Chili gelöffelt zum Durchhalten, kurz Wein und Zigarette, dann Endspurt.
*
Tag: Sonntag, Januar, 25.
Ort: immer noch Einstein, immer noch München, gleicher Breitengrad.)
Uhrzeit: 24:00 (der Zeiger steht ganz oben, Tag wechselt, die Bar muss nachgefüllt werden)
Die letzten Lesungen fangen an, Abschlussmoderationen. Linke Tür: Gold schmiedende Lyrikerin, Slammer scherzt über Familientreffen, Hörspielautor mit schauspielerischer Unterstützung trägt von Geisterschiffen vor. Rechte Tür: Schreibkrisentanz und Improvisationsgitarrenspiel von Lyrik in der Stadt. Hinter beiden Türen: langes Klatschen.
Uhrzeit: nach 1:00 (Grüner Schimmer, gemeinsam tanzen vor Stuhl-Variationen)
Man hört sogar von solchen, die sich von 7 Stunden Lesung 6 angehört haben. Marathonesk! Die Autorin Katharina Adler dazu: „Am Ende des Abends habe ich auf die Uhr gesehen und bemerkt, dass ich über neun Stunden da war. Wann ist man das schon mal auf einer Veranstaltung? Und bestimmt eigentlich auf keiner Lesung. Keine Sekunde war langweilig, keine der Blöcke, die ich mir angehört habe, oder die angenehme Festivalatmosphäre in der Barhalle. Hier große Konzentration, dort entspanntes Miteinander.“ Jeder hatte einen anderen Tag, andere Texte mitbekommen, andere Biere getrunken. Etwas müder sind die Blicke, jetzt wechselt man in Halle 3 zum Sitzen und Reden und kurz Ausruhn oder gleich in Halle 4 zum Tanzen: es gibt Musik von den DJs Tambien und später von Simian Keiser. Eine riesige Flasche Pfeffi steht am DJ-Pult und lässt den Raum grünlich schimmern.
Uhrzeit: gegen 5:30 (Neuschnee)
Die letzten 50 Tänzerinnen tröpfeln aus Halle 4 Richtung zu Hause. Die Musik ist aus, der Pfeffi fast leer. Als die letzte kleine Gruppe die Stufen aus dem Keller vom Einstein hochkommt und rausgeht, fällt draußen langsam aber sicher neuer Schnee in München.
Fotos: Cora Kosch