Fundstücke #2 (Disko, Diskurs & Dichtung)

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Fundstücke ist eine Reihe, für die sich die Autor_innen Christiane Heidrich und Rick Reuther abwechselnd auf den Weg machen, das Netz nach lyrischen Spuren zu durchforsten. Was diese Probebohrungen zutage fördern, ist gleichzeitig vom Zufall bestimmt und vom subjektiven Interesse der Suchenden. Aber vielleicht sind es gerade diese beiden Filter, die ja auch Seiten wie Facebook oder Twitter bestimmen, die es uns erst ermöglichen, sich dem Wust an Lyrik im Netz überhaupt zu nähern.

6 Neue Fundstücke aus dem Wurmloch Disko, Diskurs & Dichtung

This is the dream for poets, to be a poet when the Internet exists. Man! We got an opportunity!

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„heut‘ nacht steht ein baum ganz nackt auf dem zaun

und wir bauen eine rakete: die fliegt dann in den weltraum“

  • Aguas de Meisi : Brasilien trifft Berlin, Bossa Nova flirtet mit 20’Jahre Kabarett – die unvergessliche Maria Kwiatkowsky covert (als Doppelrolle!) Tom Jobim und Elis Regina.

Da sagt sie: „Weißt du, wenn du da nicht weiter weißt – schreibt das letzte Wort, bis die 5 Minuten um sind.“

Also: Fragen wir nach den hintergründigen Mechanismen der ›Kessler-Literatur-Debatte‹.

  • Buh! von Peer Trilcke – Endlich: ein Essay über einen unheimlichen Diskurs, seine Mechanismen und die Gespenster des deutschen Kulturjournalismus.

Außerdem gibt es auf Lyrikline 4 neue Gedichte von István Kemény, aus dem Ungarischen von Orsolya Kalász and Monika Rinck – yeah!

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István Kemény:

Regen – Für alle Bärenforscher dieser Welt

Wenn mein Vater noch lebte,
wie stolz wäre ich dann auf diesen Regen!
Ich würde auf den Regen zeigen, schau, Vater,
offenbar gibt es wirklich nichts Neues,
nehmen wir zum Bespiel diesen Regen,
er ist, wie er sein soll,
auch du hättest nichts an ihm auszusetzen, nicht wahr?
Er könnte es mit jedem alten Regen aufnehmen!

Und damit es nicht so ins Auge fällt,
täte ich so als sei ich verärgert darüber,
dass der neue Regen nicht fortschrittlicher ist
als die großen alten Regen,
über die er mir immer erzählte,
und ich glaubte ihm, dann wieder nicht,
um jetzt, so viel später, einzusehen,
dass er Recht hatte, Verdammt!, selbst dieses Mal.

Ich also verärgert, er misstraut mir:
Oft war ich listig, damit er sich freut,
diesmal aber schaue ich ihm tapfer in die Augen,
und lasse zu, dass er mich durchschaut,
mich analysiert, mehr noch, meine Seele
auseinander nimmt und wieder zusammenlegt,
bis er versteht, dass ich aufrichtig war
und sich dann womöglich beruhigt.
Er wäre stolz auf die alten Regen,
ich wäre stolz auf die neuen Regen,
und den Regen des anderen liebten wir sehr.

Dabei wäre das alles nur gelogen,
weil ich schon immer die Befürchtung hatte,
dass die neuen Regen viel nasser sind,
stärker und niederträchtiger,
nehmen wir zum Beispiel diesen hier:
Seit ich auf der Welt bin, hört er nicht auf,
er sammelt und sammelt sich unter der Erde, und
eines schönen Tages kommt er hervorgequollen,

aber es hilft mir nicht, dass ich es vorher schon wusste,
mir wird es mit der Sintflut nicht anders ergehen
wie dem zynischen, alten König,
oder dem arbeitsunfähigen Noah:
Ich werde keinen Finger rühren
sondern wie mein Vater, verantwortungslos,
werde ich dann einfach nur sterben.

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