Lyrische Handlungsfähigkeit II: Antwort an Linus

In Politik der Lyrik by Praesident2 Comments

Der folgende Text von Max Czollek ist eine Antwort auf den letzte Woche geposteten Text von Linus Westheuser und erschien wie dieser zuerst auf dem Blog der Lyrikgruppe G13. Eine längere Fassung in englischer Sprache ist zudem hier zu lesen. Die Diskussion wird in wenigen Tagen mit einer Antwort von Charlotte Warsen fortgesetzt. Wenn ihr euch in die Debatte einschalten wollt, schreibt einen Kommentar oder mailt uns an: hallopraesident@gmail.com.  -Die Red.

Heilung oder Symptom? Zum Zusammenhang von Politik, Lyrik und Subjekt
Max Czollek

Linus’ Position: Politik-Lyrik-Subjekt

Es ist eine ganze Weile her, seitdem ich Linus’ Text zum Thema das erste Mal gelesen habe. Ich dachte, ich warte auf etwas Zeit, meine Antwort zu formulieren. Im Gegensatz zu Tristan bin ich nicht so begeistert davon, aber das sollte diejenigen ja nicht überraschen, die unsere Blogdiskussionen kennen. Mich interessiert an Linus’ Text vor allem die Kategorienbildung, also die begriffliche Matrix in der das Problem Politik und Lyrik eingeordnet und diskutiert wird. Diese Matrix verdeutlicht sich bereits in der Hauptthese des Textes: Ziel (von Kunst und von Politik) ist die Erweiterung der persönlichen Handlungsfähigkeit, verstanden als sozial vermittelte Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen.

Die Diskussion entwickelt sich also um die Trias: Politik – Subjekt – Lyrik. Wie stehen diese Begriffe zueinander? Politik bedeutet im Text einerseits eine Form der Mobilisierung, andererseits eine Form von Suchvorgängen, in denen die einzelnen (nach Krisen, etc.) nach Wegen suchen, sich gesellschaftliche Ressourcen anzueignen. Politik zielt hier also auf eine Veränderung der Bedingungen, innerhalb derer das Leben der Subjekte produziert wird. Die politische Enteignungserfahrung der Subjekte ist zwar kollektiv und real, allerdings erfolgt die Erkenntnis/Bearbeitung im individuellen und seinem Leiden. Der Prozess der Erkenntnis läuft also über das Individuum, dessen Steigerung der persönlichen Handlungsfähigkeit wiederum die kollektive Aneignung gesellschaftlicher Formen ermöglicht, und zwar dadurch, dass der Gesellschaft die Befugnis entrissen wird, für einen zu sprechen, indem sich das Subjekt die Sprache wieder aneignet, die ihm genommen wurde, indem es sich befreit von der höheren legitimierenden Instanz, usw.. Diese Aneignungsprozesse und einiges mehr werden als „Formen der Macht“ definiert. Lyrik als Praxis ermöglicht nun eine Erfahrung der Gesellschaft. Diese Erfahrung und Neuanordnung darf jedoch nicht als Anrufung passiver Objekte verstanden werden (Lyriker redet zum Volk/Klasse/etc.), sondern muss die Eigenheit, d.h. die Eigenwilligkeit der Objekte/Individuen mit einbeziehen (darum deine Polemik gegen die passive Landschaft, die zu Symbolen degradierten Objekte).

Was ist das Verhältnis zwischen der Trias Politik-Lyrik-Subjekt? Die Lyrik ist darum ein wichtiger Ort, weil Sprache, definiert als das praktische gesellschaftliche Bewusstsein, einen Zugang zum Gesellschaftlichen erlaubt. Allerdings funktionieren Politik und Lyrik nicht gleich und können daher nicht einfach aufeinander bezogen werden: das „politische“ Gedicht ist im besten Fall Pamphlet, in jedem Falle aber eine Affirmation der eigenen Position als solcher und eine Wiederholung politischer Praxis (allerdings auf eine gewisse Art ohne die eigentliche Praxis). Wegen dieser mimetischen Nähe ist das politische Gedichte langweilig. Das Subjekt bzw. der/die Autor_in hängen mit der Lyrik zusammen, weil es darin seinen primären Freiheitsraum erkennt bzw. erkämpft, den es erst darin in einen kollektiven Zusammenhang stellt (indem die Lesenden es rezipieren und sich wiederum aneignen). Das Subjekt (Autor_in, Lesende) ist ebenfalls Schnittstelle der Politik, weil es dasjenige ist, welches ausgelöst durch sein Leiden und vermittelt über seine Suchbewegung eine alternative Praxis generiert. Es geht hierbei qua Definition um eine Erweiterung der subjektiven Handlungsfähigkeit. Dem Subjekt, würde ich also zusammenfassen, kommt in Linus’ Text eine entscheidende Position zu. Es ist das Erkennende, es ist das Befreiende und Befreite und es ist dasjenige, welches die Sprache umformt.

Eine kritische Perspektive auf diese theoretischen Reflektionen zeigt sich immer dann, wenn die ungleiche Verteilung der Möglichkeiten zur Sprache kommen, an diesem lyrischen Diskurs überhaupt teilzuhaben. Eine spezifische Form der Lyrik ist, wie der Text richtig anmerkt, eben immer auch eine Form der Distinktion für eine spezifische Gruppe, die sich in der lyrischen Praxis erzeugt. Der Text löst diese Problematik nicht, sondern lässt sie als Fragestellung offen bzw. antwortet darauf mit der Perspektive notwendiger gesellschaftlichen, d.h. politischer Umwälzungen. Es bleibt also die Vision einer Lyrik als einer avantgardistischen Praxis, deren Mehrwert im Aufscheinen der eigentlich notwendigen politischen Umwälzungsprozesse liegt.

Gegenposition: Lyrik als Symptom

Ich denke, für meine Kritik an obigem Konzept muss ich vor der Diskussion der Trias Politik-Lyrik-Subjekt erst einen weiteren Begriff einführen: das Begehren. Das Begehren ist jene Ebene, auf der sich das Gesellschaftliche dem Subjekt einschreibt. Worum es mir bei meiner Antwort also letztlich gehen wird, ist zu zeigen, dass jegliche künstlerische Praxis, egal wie radikal, nicht seiner Rückbindung an das subjektive Begehren und seiner Verortung im gesellschaftlich-historischen Zusammenhang entkommt, welches sich in der Entscheidung des/der Autor_in eben so und nicht anders zu schreiben wie auch in der Rezeption durch die Lesenden manifestiert.

Ich will mit der Behauptung einsteigen, dass es eben jene Abwesenheit des Begehrens als Figur der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Subjekt ist, die Linus’ Konzeption überhaupt möglich macht. Das Ergebnis ist eine Konzentration auf das Subjekt als Agens politischer oder künstlerischer Betätigung. Da das gesellschaftlich und historisch spezifische Begehren selbst in Linus’ Ansatz nicht mitreflektiert wird, bleibt nun aber eine Leerstelle zwischen dem gesellschaftskritischen und dem subjektaffirmierenden Ansatz von Linus’ Text: Warum betreibe ich Politik und Lyrik auf die eine und nicht auf die andere Weise? Warum finde ich etwas wichtig, warum etwas anderes langweilig, warum etwas schlecht und uninteressant? Warum kritisiere ich den sprachlichen Zusammenhang und nicht einen anderen? Warum möchte ich mich in meiner lyrischen Praxis mit Möglichkeitsräumen/Potentialität auseinandersetzen und nicht mit Geschichte (oder umgekehrt)? Diese Fragen fallen letztlich, will man nicht auf eine Metaphysik des Wahren zurückgreifen, auf das subjektive Begehren selbst zurück und können durch die Krisen, das Leiden, etc. nicht ausreichen in ihrer Spezifizität erklärt werden (auch das Leiden muss erst Sprache/Praxis werden, bevor es politische wirksam wird). Es gilt diesen Zusammenhang zu reflektieren, wenn es sich um Lyrik als kritische Praxis handelt.

Das Begriffspaar Politik/Kritik, die in Linus’ Text noch aufeinander liegen, sollen nun also auseinander gezogen werden. Politik agiert qua Definition in einem Immanenzfeld, einer sprachlichen Struktur und in Anknüpfung an bestehende kategoriale Anordnungen in der Gegenwart. Als solche ist Politik immer strategisch und basiert auf dem kategorialen Rahmen als einer Bedingung, die eigene Handlungsfähigkeit zu realisieren. Diese Annahme der Kommunizierbarkeit politischer Praxis ist insofern zutreffend, als dass man den kollektiven und kollektivierenden Effekt, den Linus der politischen Praxis zuspricht, ebenfalls zur Grundlage von Politik erklären will (ich tue das!). Kritik auf der anderen Seite ist eine Praxis, die sich mit der Genese der Möglichkeitsbedingung von Politik im Sprachlichen, Objekt-Subjekt Verhältnissen etc. auseinandersetzt. Das Kritik in einem zweiten Schritt dadurch wieder auf Politik beziehbar wird, ist an sich keine Wiederlegung der Ausdifferenzierung von Politik und Kritik, sondern ein Beleg dafür, warum es sich lohnt, beide Dinge auseinander zu halten. Dadurch wird nämlich erst deutlich, auf welche weise die Erweiterung des subjektiven Handlungsraumes sich immer schon auf einer Ebene abspielt, deren Grundlagen selbst Gegenstand einer kritischen Untersuchung werden kann und sollte. Erfolgt diese Reflektion des eigenen Begehrens, Leidens, usw. nicht, wird das Subjekt und sein Leiden onthologisiert, d.h. affirmiert in seiner Authentizität.

Was hier nun völlig aus dem Fokus gerät, ist der geschichtliche Charakter, den dieses Leiden zu jeder Zeit annimmt bzw. überhaupt annehmen kann. Da das politische Subjekt bei Linus immer schon im Vorhinein definiert worden ist in seinem Bedürfnis nach subjektiver Selbstaufwertung und einer Steigerung subjektiver Handlungsfähigkeit, bleibt nun überhaupt kein Raum für eine Reflektion der historischen Verortung dieses Bedürfnisses. Damit ist Linus’ Subjekt-Konzeption beides: zu abstrakt und zu konkret. Zu abstrakt, weil das Bedürfnis nach Affirmation der eigenen Freiheitsräume (hier bin ich Mensch, hier darf ich sein) immer schon historisch formuliert wird (also: eine Praxis, die Zukunft statt Geschichte fokussiert, lässt sich für Westeuropa, insbesondere für Deutschland kritisch reflektieren und historisch einordnen). Zu konkret ist diese Definition von Politik über das Subjekt, weil sie das Subjekt konzeptionell zu scharf stellt. Es ist ja eine Platitude deren Wiederholung kaum lohnt, dass das Subjekt und sein Leiden sich nur sehr begrenzt für eine Umwälzung der Umstände eignen. Es ist eben nicht so, dass die Instanz, die einem auf die Schulter klopft, außerhalb meiner selbst läge. Ich bin diese Instanz. Und ich sehe dieses der kritischen Praxis nicht, von der Linus schreibt. Selbst im Leiden vermag ich keine Authentizität zu erkennen. Es überzeugt mich nicht als Basis für eine Praxis, die ein qualitativ Anderes für eine Gesellschaft ermöglicht.

Es wäre also notwendig, den Zusammenhang von Subjekt und Macht in die andere Richtung zu denken: wie wird das Subjekt durch Macht erzeugt und wie trägt es noch in die entlegenste lyrische Praxis diese Machtstrukturen als konkretes Begehren nach einer bestimmten Praxis und keiner anderen? Es genügt nicht, eine Praxis zu verfolgen, in dem die Objekte aus ihrer alltäglichen Fixierung gelöst und fraglich werden. Als Konsequenz meiner Überlegungen ist der Raum, der im Zuge dieser Auflösung entstehen kann ebenso wie die Praxis der Auflösung selbst bereits in ihrer Anlage eine Machtwirkung, die sich im eigenen Begehren nach jener Praxis, im eigenen Wissen um relevantes Sprachmaterial, etc. manifestiert (Popp sagt nicht umsonst, dass bestimmte Worte wie Rampe, Asche, usw. eben nicht für die eigene schreibende Praxis zur Verfügung stehen; das ist keine wahre Aussage, sondern Popp sagt was Popp begehrt; und diese Begehren gilt nicht nur allgemein für die Formulierung von Leiden, sie ist auch gesellschaftlich-historisch sehr konkret bestimmbar).

Am Ende seines Textes formuliert Linus eine Vision der politischen Umwälzung, deren Ziel die verallgemeinerte Handlungsfähigkeit verstanden „als autonome verfügung aller über die materiellen und kulturellen mittel“ wäre. In diesem Zustand wäre die Lyrik, die Linus vorschwebt, nur noch eine Spezialform der universalen subjektiven Autonomie, und damit letztendlich überflüssig geworden. Ich denke, es ist genau dieser Zustand der postrevolutionären Idylle, von dem aus Linus seine Perspektive auf Politik, Lyrik und Subjekt formuliert. Ich habe versucht zu argumentieren, dass eine Strategie zur Erweiterung der subjektiven Handlungsfähigkeit immer auf den gesellschaftlich-historischen Zusammenhang zurückbezogen werden muss, innerhalb dessen sie formuliert wird (und nicht auf den zukünftigen Zustand, den sie erreichen will). Will Lyrik eine kritische Praxis sein, muss sie noch das Leiden selbst in seiner Geschichtlichkeit in Frage stellen, da sie sonst Gefahr läuft, das darin immer schon enthaltene gesellschaftlich Verdrängte permanent zu reproduzieren. Bis dies nicht geschieht, ist Lyrik ein Symptom und keine Heilung.

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