ich habe eher das bild von mir, daß ich den zuseher nicht an der hand nehmen will, sondern: er muß diesen riesen-satz machen und in meine welt herüberkommen. und da ist es echt super. es soll so verführerisch dann schon sein, daß er diesen schritt machen will. aber ich will ihm nicht siebzehn theorien dazu erzählen. das spielt auch keine rolle.
Michaela Falkner1
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Stimmfleisch hat es sich zum Ziel erklärt, die Möglichkeiten der literarischen Performance anhand einer Konzentration auf die theoretische Grundlage der „Ästhetik des Performativen“2 zu bestimmen. Als „literarische Performance“ wird im Rahmen dieser unregelmäßigen Reihe der orale Vortrag von Texten durch die Autorin / den Autor dieses jeweiligen Textes bezeichnet. Wie zu zeigen ist, lässt sich diese gar grobe Definition bei weitem nicht auf sämtliche Praxisbeispiele übertragen, sondern wird ständig unterwandert, erweitert und neu festgelegt,3 was einerseits auf die der Performance innewohnende, der Aktion geschuldete Unvorhersehbarkeit beruht, andrerseits auf einen wenn nicht absurden, so doch kniffligen Umstand zurückzuführen ist: Die Lesungen, Sprechakte und Darbietungen, in und durch denen sich eine literarische Performance ausdrückt, sind niemals adäquat nachvollziehbar – jede Form der Dokumentation, egal ob im Text-, Video- oder Audio-Format, kann der im Auftritt stattfindenden Gegenwärtigkeit nicht gerecht werden, und ist ein unzulänglicher Versuch, die unmittelbare Wirkung festzuhalten. Eine schriftliche Auseinandersetzung muss sich zwangsläufig im Archiv konservierter Poetiken und Erfahrungsberichte verirren, um sich der Präsenz, die in Gestalt des vortragenden Menschen den Text erweitert, nähern zu können.
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Soll dem Phänomen der literarischen Performance näher gekommen werden, erscheint es sinnvoll, die theoretischen Grundlagen hierfür an einem Punkt festzumachen, welcher eine maßgebliche Rolle spielt: am Körper. Beziehungsweise, exakter formuliert, an den körperlichen Elementen, die der literarischen Performance aufgrund der Stimme und dem Auftreten einer sprechenden Person anhaften, dem Text weitere Aspekte hinzufügen und auf das Publikum wirken.
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Das angesprochene körperliche Element lässt sich in unzähligen theoretischen Überlegungen, die von Maurice Merleau-Ponty über Hélène Cixous bis hin zu Michel Serres4 reichen, verfolgen. Begriffe wie „Fleisch“, „Leib“ und „Körper“ dienen darin als Platzhalter für ungreifbare, oftmals nicht rational zu erfassende Aspekte des (menschlichen) Lebens, bzw. der Wahrnehmung von Realität, respektive Kunst.5 Der Phänomenologe Merleau-Ponty konzentriert im „Leib“ die vermittelnde Kraft zwischen Körper und Geist6, bzw. im „Fleisch“ eine spürbare, lebhafte, zugleich nicht fassbare Form „geistiger Materialität“, die den Leib des Einzelnen mit der Welt verbindet:
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(…) die gesehene Welt ist nicht ‚in‘ meinem Leib, und mein Leib ist letztlich nicht ‚in‘ der sichtbaren Welt: als Fleisch, das es mit einem Fleisch zu tun hat, umgibt ihn weder die Welt, noch ist sie von ihm umgeben. (…) Es gibt ein wechselseitiges Eingelassensein und Verflochtensein des einen ins andere.7
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Vermehrt ins Feld der Linguistik zielend schreibt Helene Cixous vom „Fleisch der Sprache“8, und auch Michel Serres folgert ähnlich: „Unter dem Gesang (…) scheint irgend eine vergessene, dem Sinn noch vorausliegende Sprache zu sprechen, die so alt ist, daß sie sich an das Fleisch wendet.“9
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Was ist nun dieses in Sprache und Stimme verortete „Fleisch“? In aller Einfachheit lässt es sich als Unvorhersehbarkeit des Lautes beschreiben, der in seiner Aussprache Inhalte transportiert, die zwar nicht den textlichen Vorgaben entsprechen, aber dennoch bewusst und/oder unbewusst von Seiten des Publikums aufgenommen werden. Aus diesem Blickwinkel hervor ist es nötig, Stimme nicht nur als Medium einer Aussage aufzufassen, sondern auch ihre Materialität mitzudenken: Das breite Spektrum der Klang- und Affektmodulation umfasst dasjenige, „was sich als Überschuss oder auch als Störung oder Unterbrechung von Aussagen darstellt, wie Atem, Rhythmus, Zögern, Lautstärke etc. bis hin zu stimmlichen Manifestationen jenseits des Sinns wie Lachen, Weinen, Schreien, Wimmern etc.“10
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Wiederkehrender Stachel im Stimmfleisch ist Thomas Kling in Wort und (Aus-) Sprache, wie er in frühen Gedichtbänden wie geschmacksverstärker (1989) greifbar wird. Klings Dichtung oszilliert zwischen polyvalenten Versen und der Stimmenvielfalt des als „Sprachinstallation“11 bezeichneten Sprechaktes. Abseits der lautpoetischen Bestrebungen z.B. von Peter Rühmkorf oder Franz Mon versuchte Kling eine „Neuformulierung der Dichterlesung“12, die der professionellen lautlichen Darbietung ebenso verpflichtet war wie dem Text an sich, der aus Sprachgeschichte und Anthropologie Inspiration bezog: „Wo der Sinn sich bricht, tritt das Material hervor. Stimme, Buchstabe, historischer Sinn: in dieser Entstehungszone der Bedeutsamkeit arbeitet auch Thomas Kling.“13
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Dieser zerbrochene Sinn und die dadurch hervortretende Materialität, womit Hubert Winkels die Körperlichkeit von Text und Vortrag bedeutet, weist in die Ästhetik des Performativen, bzw. zeigt, weshalb gerade Thomas Kling für eine eingehendere Betrachtung im Zusammenhang mit literarischer Performance in Frage kommt: Die textlich evozierte, mitunter kühle Gegenwärtigkeit, die aufgrund der verschiedenen Stimmen und Rhythmen als Verlangen nach Aussprache auftritt, trifft auf feingearbeitete Verse, die nicht allein fürs Hören, sondern in eben solchem Maß fürs Lesen geschrieben sind. (Wie Stimmfleisch als Nebeneffekt darzulegen hofft, eröffnen beide Möglichkeiten der Rezeption – bzw. im Sinne der performativen Ästhetik: der Erfahrung – unterschiedliche Wege in und durch den lyrischen Kosmos Klings.)
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Klings Werk mag exemplarisch sein für verschiedenste zeitgenössische AutorInnen, die sich eines performativen Zugangs bedienen und die Grenzen zwischen Auftritt und gedrucktem Text auslöschen – zu nennen sind beispielsweise Anja Utler (auf deren Text, bzw. Impulsreferat Sprache = Dichtung = Performanz? Oder: Was heißt hier ‚a‘?, mit welchem LYRIK IM LIVEMODUS eröffnet wurde, nachdrücklich hingewiesen sei) mit Gedichten, die die Sprache bis zur Glossolalie zerlegen und in Audioaufnahmen ihre konsequente Erweiterung finden,14 Christian Uetz, der stilistisch genau und rhythmisch gearbeitete Prosagedichte auswendig vorträgt15 oder Michaela Falkner, die poetische Manifeste mit Performances begleitet, die sich über mehrere Stunden, bzw. Tage spannen und erst durch die gänzliche Erschöpfung der Künstlerin zu Ende kommen.16 Diese Dichtungsweisen erfordern von (literatur-, theater- , kultursozial-, usw. usf.) wissenschaftlicher Seite die Bereitschaft, inszenatorische und stimmliche Faktoren wie auch die Auftrittssituation mitzudenken, um Antworten zu finden auf jene Frage, die Stimmfleisch zugrunde liegt: Was passiert in der Literatur?
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1 Schmitzer, Stefan (Hg.): text performanz text. Graz 2009 (edition forum stadtpark), S. 20
2 Hauptaugenmerk wird auf Erika Fischer-Lichte, Dieter Mersch, Sybille Krämer und Doris Kollesch als Stellvertreter dieser streitbaren wie ergiebigen Ästhetik gelegt.
3 Als Fixpunkt kann in diesem Rahmen allerdings der Verzicht auf Poetry Slam angesehen werden. Diese Art der Bühnenpoesie präsentiert sich vermehrt als (massentaugliche) Szene, mit entsprechenden Verhaltensweisen, Referenzen, Traditionen usw., die a) wenig mit den hier behandelten Beispielen zu tun haben, b) aufgrund der szenetechnischen Eigenarten und Entwicklungen eine gesonderte wissenschaftliche Betrachtung verdienen und daher c) in LYRIK IM LIVEMODUS gesondert behandelt werden.
4 Ob hinter der gehäuften französischen Herkunft der unterschiedlichen Dichter und Denker etwas anderes denn Zufall steckt, sei dahingestellt.
5 Wie im Folgenden ersichtlich wird, werden diese Aspekte je nach AutorIn auch als „Aura“, „Ekstasis“, „Magisches“ und ähnliches umschrieben.
6 vlg. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Übers. und mit einem Vorw. versehen von Rudolf Boehm. Berlin 1974 (deGruyter)
7 Merleau-Ponty, Maurice: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Hg. und mit einem Nachw. versehen von Claude Lefort. Übers. von Regula Giuliani und Bernhard Waldenfels. München 1994 (Fink Verlag), S. 182
8 vgl. Cixous, Hélène: Geschlecht ohne Kopf? In: Karlheinz Barck, Peter Gente et al. (Hsg.), Aisthesis, Leipzig, 6. Aufl. 1988. S. 98 – 122
9 Serres, Michel: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt am Main 1998 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft), S. 163
10 Weigel, in: Kolesch, Doris und Krämer, Sybille (Hg.): Stimme. Frankfurt a. M. 2006 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft), S. 17
11 Kling, Thomas: Itinerar. Frankfurt am Main 1997 (edition suhrkamp), S. 18
12 ebd.
13 Winkels, Hubert: Der Stimmen Ordnung. Über Thomas Kling. Köln 2005 (DuMont Verlag), S. 61
14 vgl. Utler, Anja: münden, entzüngeln. Wien 2004 (Edition Korrespondenzen) und Utler, Anja: brinnen. Wien 2007 (Edition Korrespondenzen), sowie aufgrund der konsequenten Fragmentierung (und einer damit einhergehenden erstaunlichen Rhytmisierung) der Sprache zu Stottern und Würgen vor allem Utler, Anja: jana, vermacht. Wien 2009 (Edition Korrespondenzen)
15 vgl. z.B. Uetz, Christian: Zoom Nicht. Graz 1999 (Droschl Verlag) und Uetz, Christian: Don San Juan. Frankfurt am Main 2002
16 Den besten Überblick über die unterschiedlichen Performances, Texte und Aktionen bietet die Website der Autorin: www.falkner7.com
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