Sarah Kirschs frühe Lyrik 1967-1976

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Die deutsche Dichterin Sarah Kirsch gehört zu jenen Lyrikerinnen, die schon in der kleinen Wendung, der minimalen Ausdeutung, im fünfzeiligen Gedicht, poetische Landschaften zeichen können. Fugenlos, fast kindlich und doch selbstbestimmt und kraftvoll, mit einem Zug zu Farben, vager Vervollkommnung und rätselhafter Dichte – ihre Poesie erbaut Welten und Emotionen und ist doch im kleinsten Nenner seltsam abgewandt. Sarah Kirsch verstarb am 5. Mai 2013. In dieser Rezension werden die ersten drei Gedichtbände von Sarah Kirsch betrachtet: “Landaufenthalt”, “Zaubersprüche” und “Rückenwind”.

 

I – Landaufenthalt (1967)

“Da stehe ich dicht vor den Büschen mit nassen Füßen
Es hat lange geregnet, und sehe die tintenblauen Dolden, der Himmel
Ist scheckig wie Löschpapier”

Die Schönheit von Sarah Kirschs Dichtung liegt irgendwo zwischen atemberaubend und einnehmend, eigentlich ist sie beides zugleich. Obwohl man sie weder bewusst farbenfroh, noch sprachverliebt oder zärtlich nennen würde, finden sich Anzeichen all dieser Vorzüge, ohne dass es wie ein unentschiedenes, konstruiertes Kovult wirkt. Im Gegenteil: die wundersame Magie ihrer Sätze, Geschichten und Bilder bleibt einem auch nach der x-ten Lektüre rätselhaft und unmittelbar und weist eine unglaubliche Nähe auf, so als spräche sie mit dem Leser wie mit einem Sommerferienfreund, dem sie Woche für Woche mehr vom verlockenden Geheimnis Sprache anvertraut.

“Ich lag auf dem Badesteg als Wind kam
Er zerblies den See alles geriet in Bewegung
Segelboote bohrten die Nase ins Schilf
Die Wassermummeln tanzten, ihre Knospen
Hoben sich wie grüne Nägel auf aus dem Wasser”

Auch wenn man mit Inhalten anfängt, ist ihrer Dichtung schlecht beizukommen. Natur, Städte, Erinnerung, Krieg, Fragen, Momente, das Ich – vieles kommt vor, aber für all das findet Kirsch weder tragische, elegische oder gar romantische Töne, sondern kleidet die Themen in Erlebnis und sprachliche Verzauberung, die in perfekten Fließformen aufeinander zu gehen, verschmelzen und sich fremd werden, Ferne beziehen.

“Der Himmel schneit sich nackt und grün
Schon häufts sich besetzt die Erde auf Landsknechtsart
Fallen Krähen ein belauben den Baum
Schrein spähn sammeln sich fliegen weiter”

Man hat nicht das Gefühl, dass ihr auch nur ein Gedicht, ja überhaupt das Schreiben von Gedichten selbst, Mühe bereitet. Wo man bei anderen Dichtern immer wieder das Gewollte als gestenhaften Leerlauf beobachten kann, sind Sarah Kischs Gedichte mehr wie etwas Freies, vergänglich, aber doch in all den Momenten präsent und leichtfüßig; und dann schneidet sie gelegentlich mit ihrer Sprache kleine Felder aus, die ganz besonders leuchten, irrig und schön, verständig und geheimnisvoll wie Erfahrungswerte & Bilderinnerungen der Kindheit es sind.

“Die Sterne, Poren in meinen Flügeln
Umtanzen den kleinen Mond in der Tasche”

“Ich tanze Seil überm Meer von Felsen zu Felsen
Habs nie gelernt: das kann ich vergessen, ich setze
Die Füße, halb schlaue Zehen, die greifen ums Seil
Die lösen sich, wenn ich Zeichen gebe”

Andere haben ihre Formulierungen, Sarah Kirsch setzt ihre Sprache zusammen, ohne Fakt und Vorgabe, fremd und doch vertraut. Wo andere Dichtungen eckig sind, ist das Wesen ihrer Gedichte formlos; in den schönsten Parzellen ihrer Wortgeflechte kommt man sich vor, als schwimme man im Wasser eines Sees, der den großen klaren Himmel der Worte spiegelt.
Mit genau der richtigen Menge an Bildern, einer Sprache, die, einem Prisma ähnlich, Worte in Farben aufspaltet, die schwarzbunter nicht sein könnten, gleich flüssigem Kristall, bringt sie mythologisches Lebensgefühl und Metaphorik zusammen, die zu erstaunlichen lyrischen Augenblicken verwachsen. Und trotz des eigenwilligschönen Glanzes ihrer Dicht, spricht sie darin auch vielfach von Dingen, die wichtig sind, auf einzigartige Weise.

“Und manchmal
Bewegt sich mein Herz in den Aufhängebändern
Das ist, wenn ich eine fremde Gegend seh,
Von mutigen Menschen höre oder
Einer was fragt”

Dieser allererste Gedichtband ist zum Kennenlernen von Sarah Kirsch bestens geeignet! Er ist rundherum sagenhaft berührend.

“Süß langt der Sommer ins Fenster
seine Hände gebreitet wie Linden”

 

II – Zaubersprüche (1973)

“Nebel zieht auf, das Wetter schlägt um. Der Mond versammelt Wolken im Kreis. Das Eis auf dem See hat Risse und reibt sich. Komm über den See.”

Nach ihrem sehr schönen, freilebigen Debüt “Landaufenthalt”, schlug Sarah Kirsch mit “Zaubersprüche” einen betont souveränen, eher statischen Weg ein. Die meisten der Texte haben nur noch ahnungsweise die Jongliertheit und den poetischen Glanz ihrer Vorgänger – Schatten, Zwiesprache und das Ungesagte dominieren, auch vermehrt in Kurzprosatexten, die Kirsch zeitlebens als eine legtime Form des Gedichts ansah.

“Der Himmel auf tönernen Füßen
Wir fahren darunter in kleinen Autos
Die Brücken
Fangen ihn ab eine Zeit lang
Wird er blau sein, Vögel
Und Nacht und Tag und manchmal
Ein Nordlicht in fremden Breiten”

Zaubersprüche, dass sind in unserer Vorstellungen einfach gewirkte Gesten, die etwas Unmögliches aus dem Nichts entstehen lassen – bei Sarah Kirsch sind es eher Beschwörungen, bei denen am Ende zwar ebenfalls etwas Gegensätzliches, Erstaunliches aus der Sprache wächst, dass aber nicht unbedingt zauberhaft ist, sondern wie eine aus dem Off gesprochene lose Verschlüsselung der Wahrheit klingt, die durch die Gänge des Gedichtes summt.

“Keiner hat mich verlassen
keiner ein Haus mir gezeigt
keiner einen Stein aufgehoben
erschlagen wollte mich keiner
alle reden mir zu”

Dass Sehnsucht in (bzw. an) diesen poetischen Wortschluchten/-klippen immer wieder eine Rolle spielt, wenn eben auch keine physische, sondern eine sehr transzendente, wird hoffentlich aus den Textbeispielen klar. Es ist auch nicht so gemeint, dass den Gedichten Kälte vorzuwerfen wäre oder Desinteresse, dazu sind sie oft viel zu unterschwellig-eindringlich Aber sie lesen sich wie kryptische Märchen, Wahrsagungen und Beobachtungen aus einer fremden Sprache, deren innere Sinnzusammenhänge wir insgesamt spüren, deren Fingerzeige und Mythologien uns aber fernab und unwirklich erscheinen.

“Was bin ich für ein vollkommener, weißgesichtiger Clown
Am Anfang war meine Natur sorglos und fröhlich
Aber was ich gesehen habe zog mir den Mund
In Richtung der Füße”

Dies alles sind natürlich Eindrücke, die aufgebrochen werden, wenn man sich intensiver mit den Gedichten beschäftigt. Dann zeigt sich der Gedichtband von einer anderen Seite, die man nicht vermutet hätte, einer verletzlichen, auseinander treibenden, in der es oft ums Verlassenwerden und das Verlassensein geht, um Einsamkeit, polyphone Ängste und ein gezeichnetes Ich. Wer sich also länger mit diesen den magischen Artefakten, die Kirschs Gedichte eindeutig sind, auseinandersetzt, wird sicherlich eine überraschend vielschichtige Dimension in ihnen entdecken, die einem lange Zeit als Wortschatz des inneren Exils lebendig bleibt.

“Meine Haarspitzen schwimmen im Rotwein, mein Herz
Sprang – ein Ei im kochenden Wasser – urplötzlich
Auf und es fiel, sprang wieder, ich dachte
Wo du nun wärest, da flogen die Schwäne dieses
Und auch des anderen Spreearms übern Himmel.”

Ich denke, in diesen letzten Zeilen zeigt sich, wie meisterhaft Kirsch es verstand, in der Sprache das Bild als einen Ausdruck tiefer Gefühlsebenen zu verwenden. “Zaubersprüche” ist sicher nicht ihr bester Gedichtband. Aber er hat etwas ungeheuer Eigenes, was dazu führt, dass man ihm letztlich eine hintergründige Wirkung und Schönheit nicht absprechen kann.

 

III – Rückenwind (1976)

“Am Himmel ordnen sich die Vögel

und nachts die Sterne.”

Sarah Kirschs letzter Gedichtband, der in der DDR erschien, hat etwas von der Ruhe vor dem Sturm. In sich zurückgezogen, verarbeitet sie in ländlichen Umgebungen die Trennung von ihrem jahrelangen Geliebten Christoph Meckel, der bereits in West-Berlin lebte. Abgesehen von einer paar langen, sehr ausdrucksstarken Gedichten, enthält der Band hauptsächlich kurze Eindrucksskizzen und Beobachtungen.

“Ein poetisches Bild: das ging mir
Plötzlich wie Honig ein: die Linden
Fingen zu blühn an und ich hatte gesehn
Dass die Bäume Ähnlichkeit haben mit Mädchen
Blondhaarigen, die Strähnen rötlich
Leichthin gelockt.”

Ein Moment, in dem aus Bäumen Mädchen werden, in dem die Imagination eine zweite Welt erschafft, ohne die erste deswegen auszugrenzen, da sie ja der Rückenwind, dass Trampolin für diese zweite ist – Momente, die Gedichte zu etwas Essentiellem in unserem Dasein machen. Etwas Wichtigem.

“Die Fuchsroten Felder
Haben Licht vom Abendstern.
Das Uhrenherz treibt seine Zeiger vor.
Pelargonien in bunten Töpfen
Ziehn Licht auf die Dielen, es flog
Ein dunkler Vogel übers Haus.”

Beinahe friedlich erscheinen diese in mattes Licht und Schatten getauchten Illuminationen, wie kleine Poesiekästchen, ausgeschnitten aus einem großen Bilderbuch, von dem nur ein schmaler Ausdruckschemen zurückbleibt. Etwas unterbewusst Wartendes schwingt mit, eine fast naive und doch sehr deutliche Ahnung von den Dingen, die kommen werden oder zumindest ihre Möglichkeiten am Horizont zusammenziehen und von den Dingen, die geschehen, irgendwo zwischen Zeit und Raum. Darin immer wieder der letztendliche Rückzug aus den Sprachlichtern in das eigene Selbst, das schreibt:

“Dieser Abend, Bettina, es ist
Alles beim alten. Immer
Sind wir allein wenn wir den Königen schreiben
Denen des Herzens und jenen
Des Staates.”

Welch eine grandiose Formulierung für das Dichtersein und doch eigentlich gar nicht tauglich als Definition, was ein Zug alles Schönen und Eingebenden ist. Einige solcher Zeilen lassen sich finden zwischen den Fluchtmärchen, den Nebenbeierzählungen und den Gedanken an Liebe und Sehnsucht, in die Bilder versperrt:

“Schnee fällt uns
Mitten ins Herz, er glüht
Auf den Aschekübeln im Hof Darling flüstert die Amsel”

“Deine Augen
Jagen mir das Herz auf die Zunge”

Insgesamt ist Sarah Kirschs dritter Gedichtband auch heute noch eine echte Entdeckung, auch wenn ein seltsames Schicksal, noch immer nicht eingetreten, ihn von der Zeit gelöst, wie Vergessenes, anmuten lässt. Man muss wirklich ganz genau hinsehen, die Hauptsachen, die Nebensachen einklappen und sich vollends auf die poetische Aussage der Gedichte, ihren inneren Zusammenhalt, auf die Ausgangspunkte, und nicht auf ihre Abfolgen konzentrieren. Dann erkennt man eher die große Leistung der genau umrahmten Zeilen und findet in ihren Tiefen einen Film, den man vor dem geistigen Auge Revue passieren lassen kann.

“Im Himmel wurden wohl Kirchen gesprengt,
der Donner
Fraß Echo und Blitze
Fielen Poliert und Verbogen, Sturm
Kämmte das Ufer, es rieselte Ästlein,
wir sprachen:
Das will nun runter! und traten ins Haus.”

Sarah Kirsch ist in ihren frühen Gedichten immer zwischen dem Land der einfachen Farben und der komplexen Gefühle hin und her gegangen und hat sich nie wirklich für eine Seite entschieden, aber die Bedeutungsuntiefen und Bildebenen beider Kategorieren um einige poetisch-unausweichliche Wendungen und Ideen bereichert. Vielleicht ist dieses Werk tatsächlich der Höhepunkt dieses Versuches. Zumindest ist es eine sehr besondere, kleine Lektüre! Geeignet für alle mit einem poetischen Glauben.

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