„Wir müssen nur noch die Tiere erschlagen“ von Marlen Pelny

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Rezension des Gedichtbandes „Wir müssen nur noch die Tiere erschlagen – Zwei Zyklen“ von Marlen Pelny, erschienen am 1. Oktober 2013 bei Voland & Quist. Mit einer Audio-CD, auf der die Autorin einige ihrer Gedichte selbst vorträgt. Es ist ihr zweiter Gedichtband nach „Auftakt (2006, Connewitzer Verlagsbuchhandlung).

Pelny, geb. 1981, wurde 2013 für den Leonce-und-Lena-Preis nominiert und studiert seit 2012 am Literaturinstitut Leipzig. Sie ist Musikerin und Mitglied der Band „Zuckerclub“; zusammen mit Ulrike Almut Sandig hat sie zwei Hörbücher produziert.

 

„wir stehen am Fenster und sehen nicht raus

seit Tagen schon diese Geräusche

wie stichfester Regen, wie Kartenspiel

jemand mischt auf den Wegen“

Viele Leute bemerken, wenn sie zeitgenössische Lyrik lesen, nicht den Bann der Worte, der hinter der undurchdringlichen Fassade von Ästhetik und Innovation sitzt. Dieser Bann, diese anziehende Hypnotik ist jedoch ein wesentlicher Teil der modernen Politik der Lyrik. Die Idee einer Sprache, die auf einer Ebene jenseits gesicherter Ausdruck-Systeme existieren kann und von dort Eindrücke und Formulierungen zurückschickt, die dennoch wesentlich, in der Ahnung nachvollziehbar und für uns relevant sind, gehört zwar seit jeher zum Genre der Lyrik – aber die Gegenwartsdichtung hat diese Idee auf die Spitze getrieben.

„draußen sehen wir die Menschen wie Bäume

weiß wie Schnee im Schnee da stehen

drinnen hören wir einen seltenen Vogel

durch die Wände gehen“

Man könnte auch sagen: Sie hat ihr endgültig die Sicherheit genommen. Das Visuelle wird nur noch spärlich, einzeln, miteinander verdrahtet, die Zärtlichkeit ist meist allein noch in der schmalen Ausbreitung des Ich, wie ständig gedimmtes Licht, aufzufinden. Bleibt nur noch die Physis der Sprache selbst, ihre Eins zu Eins Wirkung, ohne viel Erweiterung. Dichter und dichter muss man sie deshalb formen, sie um das Ich und seine Ausformung gruppieren. Jede Zeile, jede Aussage muss eine neue Anregung sein, das nächste Glied des Flusses (und gleichsam auch der ganz Fluss, der sich darin fortsetzt und der im tieferen Sinne stets Bewusstsein als Sprache ist). Denn oft ist es nur die Zugkraft des Flusses, die sich aufschaukelnde Mutation des Sinns in der Sprache, die ein Gedicht lebendig und eindrücklich macht.

„ich würde dir gern sagen, wie es um mich steht

welche Farbe die See in meinen Augen hat

was ihr gemeinsam habt, du und meine Gier

welches Kabel mein Herz mit meinem Kopf verbindet

was mein innerer Schweinehund

mit äußeren Katastrophen zu tun hat

was die anderen Hunde von mir halten“

Marlen Pelnys Gedichte sind Alltagsgedichte und doch auch wieder nicht. Wie jede gute Dichtung hat sie der oben beschriebenen Entwicklung der Gegenwartslyrik noch ihre eigenen Ausläufer hinzugefügt, hat ihre eigenen Modifikationen und Sicherungen eingebaut. So kommt in Pelnys Versen schon mal hier und da ein Reim vor oder eine Reimfolge; Reime, die aber eher wie streunende, denn wie hofgehaltene Wesen wirken.

„die ganze Nacht einschlafen

den tieren die Haare einfrieren

das ganze Haar verteilen

die ganze Nacht tätowieren“

Ihre Art des Reims ist sozusagen seltsam getrimmt, die Reimmoral nicht ganz zu erkennen.

Pelny hat in diesem Band vorwiegend Alltagsgedichte geschrieben, wenn Sie sie auch nicht alltäglich serviert. Der Lauf ihrer Gedichte ist von der Sondierung bestimmt, der Sondierung im allen, eine Sondierung die auf langsam eingestellt ist, die Feinjustierung aufweist und in der eine leichte Apathie fluktuiert.

„und da ist es auch schon: das bild

in dem bild in dem bild in dem bild

wir packen es ein und gleich wieder aus

es ist verblichen, wir erscheinen noch blasser“

Es scheint, als würde das Unförmige dominieren, aber das täuscht. Das Format der Gedichte ist lediglich ein sehr subtiles, ökonomisch alternatives: es durchdringen sich darin fortwährend die Dimensionen; es liegt darin eine adaptive Musterung der Realität, ein (wie in dem Ausschnitt über diesem Absatz anklingendes) Abpausen der Welt, der ruhelosen Statiken, dem Vergehen von Ideen schon wenn sie erscheinen, wenn sie in den Sinn kommen.

„innere Strichlisten für jeden guten Morgen

haben immer die gleiche Überschrift

weiß unterstrichen, wie der Himmel

ausgesprochen weit oben“

Die Gedichte finden wenig halt, sie sind mehr ein reiner Halt in sich. Ich würde nicht von einer kritischen Stimme in ihnen sprechen (vielleicht von einem Anteil, einem kleinen), dafür sind sie viel zu direkt, zu hautnah.

„wie wir über Kalk nachdenken, beim Wasserkochen

beim Pflegen unsrer Alltäglichkeit“

Am stärksten sind Pelnys Verse jedoch, wenn sie ein kleines bisschen umgetippter Zärtlichkeit durchscheinen lassen. Wenn sie in diesen Räumen von Alltag, Fragwürdigkeit und in den Linien auf dem Chrom der Zeit auch eine lyrische Note in ihrer Dichtung sich Bahn brechen lässt. Sehr gut zu sehen in diesen zwei einfachen Zeilen:

„im Radio liefe unsere Musik

und wenn Nachrichten kämen, würden wir tanzen“

Ich möchte abschließend eine Empfehlung für diese Gedichte aussprechen. Ihre Lektüre ist, im geringsten Falle, zumindest inspirierend (wie man hoffentlich bemerkt hat). Und man kann in den Momenten, Eindrücken, Welten, die hier wie Laken aufgeschlagen werden, auch eine sehr rare Art von ungewisser Gewissheit finden, eine gedankliche Reflexion ohne konkrete Spiegelungen – eine unausführliche Wahrhaftigkeit, hier und da, die sehr beeindruckend ist.

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