Lyrik im Baumhaus (Lyrikkollektiv Wedding)

In Bühne frei, Lyrik im Grenzgebiet by Max0 Comments

Unter “Bühne frei” präsentiert Babelsprech.org Lesungs- und Veranstaltungsformate im deutschsprachigen Raum, die nicht an eine bestimmte Institution gebunden sind und auf dem Experimentier- und Spieltrieb der Veranstalter basieren. Ob Lesebühnen, Performancereihen oder interdisziplinäre Initiativen, wesentlich ist die sub-institutionelle Organsiationsform, deren Bedeutung für die selbstbestimmte Kommunikation junger Lyriker_innen kaum hoch genug geschätzt werden kann. Nach ART VISUALS & POETRY (Wien)NIEMERLANG (Berlin/Leipzig) dem Literaturklub (Köln), und den Undercover (Frankfurt), und Kellerkultur (Göttingen), zwischen/miete, Land in Sicht und lyrix stellen wir heute das Berliner Lyrikkollektiv „Lyrik im Bauhaus“ aka Julia Dorsch, Maria Marggraf, Arne Schmelzer und Christine Zeides. Hier gehts zur Facebook-Page.

4 FRAGEN AN LYRIK IM BAUMHAUS
(Antworten: Maria Marggraf)

1/ Wer seid ihr?
Das 1001. Lyrikkollektiv, das dabei ist, die Kulturszene Berlins zu erobern. 2015 haben wir – zurzeit vier Poet*innen – unser Grüppchen aus der Taufe gehoben.

2/ Wozu das Baumhaus in eurem Namen?
Weil wir Lyrik im Baumhaus machen. Ja, es ist wirklich so selbsterklärend. Es handelt sich allerdings nicht um eine echte Hütte in einer Baumkrone; noch weniger um ein Hirngespinst. Das Baumhaus Berlin ist ein Weddinger Projekt für sozial-ökologischen Wandel und eine Plattform für Weltverbesser*innen. Was das mit Lyrik zu tun hat? Anscheinend so einiges. Zum Beispiel werden wir selber aktiv, anstatt nur zu konsumieren. Und unser Schreiben findet ja auch nicht außerhalb, sondern mitten in der Gesellschaft statt, in der wir leben. Lyrik ist dann wohl doch die Lösung. 

3/ Und was macht ihr so?
Alles, um Lyrik unter die Leute zu bringen: Lesungen, Performances, Workshops, ein handgebundenes Büchlein (und, und, und). Gerne in Kollaboration mit anderen Künstler*innen; zuletzt mit musikalischer Unterstützung durch Luana Harumi und Chris Matlik von der Berliner Band Kokokollektiv. Unser Verständnis von Poesie ist weit gefasst und wir arbeiten daran, die Grenzen dieser Gattung immer weiter nach außen zu schieben. 

4/ Was wollt ihr in Zukunft noch alles anstellen?
Unser 10-Jahres-Plan: Lyrik für alle Bewohner*innen dieses Planeten! Und zwar vom Feinsten! Ansonsten: immer schön auftreten, unseren Performance-Ansatz weiterentwickeln, Poesiefilme drehen, zusammen publizieren, durch die Welt touren – ach ja, und: natürlich viel, viel schreiben!

 

TEXTE

II.

Wir tragen den Tag noch unterm Nagelsaum
& dann sackt uns das Abendrot in die Kniekehlen.
Ein zündeln in der Iris
die Ellbogen mulden sich ein –
Den Lippenglanz in die Halskuhlen legen.
Du Zeichnest mir die Körperlinien neu
& webst mir die Anmut in die Muskelfasern,
von einer Wahl getroffen zu sein.
Ein Recken
Ein Räkeln
Ein Ineinander-Wölben
Ein Auf und Ab in der Matratze.
Atem atmen.
Dir perlen die Wangen.

Und Ich, leise, eine Frage ins Dazwischen:
ob die maximale Kontaktfläche unserer Hüllen
nicht zu deren Aufhebung führen könnte?

Julia Dorsch

Gevatterin Zukunft

// Weib Mutter Jungfrau //
dreifaltige Göttin
die Alte ist Baba
ein Fuß in den Rodungen
den anderen im Hinterland
sie setzt Gurken im Osten
vor dem Reiter keine Angst

und doch
man krönt den Usurpator
ein goldgelockter Königssohn
und er hat einen Froschmund
und er ist ein Oktopus
und er kriegt die Fliegen nicht los

2076:
Sieg des Kommunismus
doch vorher verstirbt Europa
und wird zum Kalifat
das ist sicher
aber kein Grund zur Sorge
denn die Natur wird wiederauferstehen
und Menschen unter Wasser leben

die Alte sucht das Weite
buckelt Geschichten
rotzt Zauber aus dem Nasenloch
das Puderhaar wirft die Tentakel aus
// Flatscreens Mauern Messages //
eine Würgeflut im Reich
der Prinz noch immer mit Schnute
und das Volk will einen gerechten Herrscher
und das Ende der Welt steht schon fest

trotz allem
jagt sie auf Dünen
kratzt Rogen auf
verlängert Kürbisranken
kennt die toten Winkel
das Hühnerhaus dreht sich
und ihr Name ist Jaga
und sie kommt mit dem Tod

Maria Marggraf

 

Mutig, die Schlagfaust,
Loch in der Wand, Durchguck,
fast als könnt ich wieder sehen das da!
Wunderland.

Arne Schmelzer

 

Großstadtgarten am Morgen

Die Nacht hat
Tau aus Neonlicht
auf den Straßen verteilt
In den verwelkten Vororten
und den Spielwiesen
Dort
wo sich riesenwüchsige Häuserwipfel lichten
wo ein werbendes Schmetterlingsbanner
flattert und flirrt
Über allem
bedrohliches Summen
sich windende Raupen
und zwischen Ihnen
gleiten motorisierte Glühwürmchen
unruhig in den Tag
Im Rinnstein-Bach
schwimmt der Geruch des Gestern
An seinen Ufern
wachsen die Scherbenblumen
aus Glashalmen gemalt
Eine steife Libelle am Horizont
setzt zur Landung an
Taucht ein
in das große Krabbeln
hier im Großstadtgarten
Und überall Ameisen

Christine Zeides

BILDER

 

 

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