Die WG ist eine Bühne (zwischen/miete Freiburg/Stuttgart)

In Bühne frei by Nora Zapf1 Comment

 

Unter “Bühne frei” präsentiert Babelsprech.org Lesungs- und Veranstaltungsformate im deutschsprachigen Raum, die nicht an eine bestimmte Institution gebunden sind und auf dem Experimentier- und Spieltrieb der Veranstalter basieren. Ob Lesebühnen, Performancereihen oder interdisziplinäre Initiativen, wesentlich ist die sub-institutionelle Organsiationsform, deren Bedeutung für die selbstbestimmte Kommunikation junger Lyriker_innen kaum hoch genug geschätzt werden kann. Nach ART VISUALS & POETRY (Wien)NIEMERLANG (Berlin/Leipzig) dem Literaturklub (Köln), und den Undercover (Frankfurt), und Kellerkultur (Göttingen) stellt babelsprech-Autorin Nora Zapf heute die Reihe „zwischen/miete“ aus Freiburg und Stuttgart vor.

 

Die WG ist eine Bühne

Die Reihe „zwischen/miete“ aus Freiburg gibt es jetzt auch in Stuttgart

“Zu Beginn der Lesung war es unglaublich still, obwohl in jedem Zimmer Zuhörer*innen saßen, an allen Ecken und Enden. Jeder Stuhl war besetzt und jedes Stückchen Boden. Das war schön, zu sehen, dass am Sonntag um 11 Uhr in der Früh full house gewesen ist. Vor und nach der Lesung gab es muntere Gespräche, Brezeln und Bier, es hat an nichts gefehlt und man ging in so einer Salonstimmung durch die WG, von irgendwoher spielte ein Klavier.”

So Frieda Paris, Autorin bei der Stuttgarter Lesereihe zwischen/miete bei dem Festival Anfang Juli. Und wem der Name bekannt vorkommt, der hat entweder in Stuttgart schon davon reden gehört oder kennt das gleichnamige Vorbild aus Freiburg, wo 2009 alles angefangen hat. Das Konzept: Jeder, der Lust hat, in seiner Wohngemeinschaft eine Lesung zu hosten, der/die kann sich auf der Internetseite bewerben und das Orga-Team sorgt für Autor*innen und Publikum, Bier und Brezeln, die im Eintritt inbegriffen sind. Die WG wird zur Bühne, und die Stadt hat für einen Abend einen Kulturstandort mehr.

Unterstützt wird das Ganze vom Literaturhaus Stuttgart. Stefanie Stegmann, vormalig Leiterin des Literaturbüros in Freiburg, hat die zwischen/miete einst ins Leben gerufen. Anfang 2014 wechselte Stegmann in die schwäbische Hauptstadt an das Literaturhaus Stuttgart und brachte das bewährte Konzept gleich mit. Ein Beispiel dafür, wie sich Institutionen und junge Szene erfolgreich verbinden lassen und voneinander profitieren können. So tauchen die Veranstaltungen zusätzlich zur Eigenwerbung in den Programmen der großen Häuser auf und im Gegenzug füllen sich die kleinen Wohnungen mit Interessierten:

30-40 Zuschauer*innen besuchen im Schnitt die Wohn- und Studentenschlafzimmer, um sich junge Autor*innen anzuhören. Da jedes Mal auch die Freund*innen und Bekannten der WGs kommen, wächst auf der einen Seite die Anzahl des Publikums, und auf der anderen Seite kommen immer neue Leute mit Lesungen erstmals in Berührung.

Felix Schiller, der von 2010 bis 2013 das Konzept zur zwischen/miete in Freiburg mitentwickelt und die dortige Lesereihe betreut hat, bemerkt bei seiner Lesung in einer geräumigen Stuttgarter Altbauwohnung, wo er zusammen mit Frieda Paris zum Festival las: „Das Publikum war sehr gemischt und anders als bei der Freiburger Reihe waren viele ältere Leute (außerhalb des Studentenalters) da. Fand ich sehr toll, zu sehen, wie da Leute über alle Altersstufen hinweg auf dem Boden (und ein paar Couchs und Sessel) sitzen und einer Lesung zuhören.“

Kuratiert und durchgeführt werden die Lesungen, die drei bis viermal im Jahr stattfinden, von Friederike Ehwald und Verena Ströbele, die den Abend auch moderieren. “Bei unseren bisher sieben zwischen/miete-Lesungen haben wir Kurzgeschichten und Romane und deren Autor*innen präsentiert, aber natürlich sind wir jeder Form gegenüber offen”, meint Verena Ströbele. Nach den Texten wird kommentiert und diskutiert. “Es kam eine schöne Interaktion zwischen Lesenden und Publikum auf, Fragen, Anregungen, mal wurde gelacht, mal war es ganz still”, berichtet Frieda Paris, die selbst ihre Lesung mit einem Song einleitete. Musikalische Einlagen und Performances sind oft Teil des Programms. Danach darf lange geblieben und weiterdiskutiert werden.

Der Erfolg hat die Veranstalter*innen dazu bewegt, ebenfalls nach Vorbild der Schwester in Freiburg, ein Festival zu organisieren, das dieses Jahr (10.-12.Juli) das erste Mal stattfand. Es wurde an mehreren Orten gelesen, neben den obligatorischen WGs auch in Galerien und dank dem Wetter oft open air, und Stuttgart wurde für zwei Tage in eine Bühne für junge Literatur verwandelt, die den Festspielsommer um eine sympathische Attraktion bereichert hat.

 

 

Fotos @Sebastian Wenzel

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