Bühne frei: Niemerlang (Berlin/Leipzig)

In Bühne frei by Robert Prosser2 Comments

Bei „Bühne frei“ präsentiert Babelsprech.org Lesungs- und Veranstaltungsformate im deutschsprachigen Raum, die nicht an eine bestimmte Institution gebunden sind und auf dem Experimentier- und Spieltrieb der Veranstalter basieren. Ob Lesebühnen, Performancereihen oder interdisziplinäre Initiativen, wesentlich ist die sub-institutionelle Organsiationsform, deren Bedeutung für die selbstbestimmte Kommunikation junger Lyriker_innen kaum genug geschätzt werden kann. Nach ART VISUALS & POETRY (Wien) wird heute NIEMERLANG vorgestellt, eine Lesereihe zwischen Berlin und Leipzig. Vorausgeschickt einen Dank an Janin Wölke, die uns mit den ultimativen Backgroundinfos versorgt hat, bei denen sogar der Teufel seine Rolle spielt:

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Wie kam es zu der Idee für Niemerlang?

Die Niemerlang-Lesereihe wurde in der Kneipe „Dachkammer“ in Berlin-Friedrichshain im Sommer 2011 von Mario Salazar, Thorsten Frey, Carl-Christian Elze und Janin Wölke gegründet, um eine kleine Bühne für sich und ihre Gäste zu bauen und so gelungene, unterhaltsame Abende zu gestalten. Seit Dezember 2012 gehört auch der Lyriker Udo Grashoff zur Bande.
Die Lesungen finden regelmäßig alle drei bis vier Monate in Berlin, in der „Dachkammer“ oder in Leipzig an verschiedenen Orten (u.a. Tapetenwerk, Kunstverein Kolonnadenstraße, ab Juli im Café Tunichtgut, Kolonnadenstraße 5/7) statt.
Am Anfang haben wir als Werbung mit Gedichten bedruckte Fliesen verteilt. Das machen wir nicht mehr, aber man kann sie noch kaufen (wahlweise mit einem Gedicht von Udo oder Carl). Inzwischen gibt es auch unser erstes eigenes Büchlein (gestaltet von Johannes Grünberg) mit Texten von jedem Mitglied. Die Gäste bisher: Jan-Peter Bremer, Patrick Maisano, Christian Kreis, Daniel Ketteler, Martin Piekar, Ulrike Draesner, Thomas Kunst und Jörg Schieke.

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Und woher der Name Niemerlang?

Einst, in einer wolkenverhangenen Nacht, war der Teufel unterwegs, um eine menschliche Seele zu finden, zu ergreifen und an sich zu binden. Um nicht erkannt zu werden, hatte er sich einen langen Mantel übergehängt und trug eine Kapuze auf dem Kopf. Als er in die Nähe des heutigen Dorfes Niemerlang kam, stieg ihm ein unwiderstehlicher Geruch in die Nase. Er beschleunigte seine Schritte, fing an zu laufen, sogar zu rennen, so gierig war er auf einmal nach dieser Seele, dass er sogar den Weg verließ, schnurstracks über Wiesen und Felder rannte, nur um noch schneller im Dorf zu sein. Um Niemerlang herum gab es aber viele Steine. Nun wollte es der Zufall, dass der Teufel in vollem Lauf mit seinem Fuß an einen besonders großen Stein stieß, der in der Dunkelheit wie verschluckt dagelegen hatte. Es riss den Teufel zu Boden und er schrie vor Schmerzen auf, denn auch der Teufel spürt Schmerzen, wenn er in menschlicher Gestalt durch die Welt zieht. Er krümmte sich am Boden und wusste nicht ein noch aus, als plötzlich die Wolkendecke aufriss und er im Mondlicht erkennen konnte, dass es ihm alle Zehen weggerissen hatte. Doch etwas ging jetzt vor mit seinem Fuß. Er konnte zusehen, wie aus dem Stumpf seines Fußes ein Pferdefuß herauswuchs. Der Teufel kam wieder auf die Beine, aber der Zorn stieg jetzt mächtig in ihm auf, als er merkte, dass er nur noch humpeln konnte. Lauthals schrie er in die Nacht hinaus: „Gottverdammte Gegend, hier komme ich nie mehr lang!“ Als das die Leute im Dorf hörten, sogar die, die schon im Bett gelegen hatten – so laut und unverkennbar hatte der Teufel geschrien – beschlossen sie sogleich am nächsten Morgen, ihr Dorf von nun an Niemerlang zu nennen.

Sowohl der Name als auch die Teufelsgeschichte des Dorfes Niemerlang, heute ein 200-Seelen-Ortsteil der Kleinstadt Wittstock/Dosse in der Ostprignitz, im Nordwesten von Brandenburg, haben uns bei der Namensgebung unserer Lesereihe entscheidend inspiriert. Auch wir fühlen uns in gewisser Weise als Niemerlanger. Nicht nur, weil wir uns wünschen, dass der Teufel möglichst einen Bogen um uns macht, sondern auch, weil uns das Wort niemerlang wie ein Memento mori aufscheint, das uns an unsere eigene Vergänglichkeit erinnert. Wenn wir niemerlang sagen und denken, bildet sich nun in unseren Köpfen auch immer der Satz mit: Bedenke, wir sind nicht-mehr-lang! Es gibt Sprachforscher, die sagen, der Name Niemerlang stamme aus dem Slawischen: Nymerlank, was so viel wie „Siedlung am Sumpf“ bedeutet. Niemerlanger sind demnach auch „Siedler am Sumpf“, vom Versinken Bedrohte. – All diese Assoziationen, die von diesem einen Wort ausgehen, machen unsere Köpfe aber nicht nur schwer oder ängstlich, sondern auch blühend. Und gerade im Gefühl all dieser Blüten im Kopf haben wir uns um dieses dunkeltönende Wort versammelt.

 

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Macht ihr selbst eine Reihe oder kennt ein Format, welches auf jeden Fall hier vorgestellt werden sollte? Dann schreibt uns an kontakt@babelsprech.org

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