Aufbruchstimmung! Erstes Treffen junger Lesereihen (Lyrik)

In Bühne frei by Nora Zapf0 Comments

Es herrscht lyrische Aufbruchsstimmung: Aus 11 Städten kamen 13 Initiativen zum ersten Treffen junger Lesereihen mit Schwerpunkt Lyrik. Von Hildesheim bis Graz, von Köln bis Leipzig reisten die literaturbegeisterten Organisator_innen an und trafen sich am 20. und 21. Februar im Lyrik Kabinett München. Junge Lesereihen sind unabhängige, selbstorganisierte Initiativen von Studierenden oder Autor_innen, die neue Orte für Lesungen finden und ein junges Publikum für Literatur begeistern. Organisiert wurde das Wochenende von den Lyriker_innen Heike Fröhlich und Tristan Marquardt. Unsere Autorin Nora Zapf war dort und liefert einen Überblick über das Wochenende.

Die Lesereihen

Zum Wochenende reisten Lyrikreihen aus Deutschland und Österreich an.

Folgend einige Informationen über diese Initiativen und Bühnen:

Prosanova ist eines der größten Festivals für junge Literatur im deutschsprachigen Raum, organisiert von Studierenden des Literaturinstituts der Uni Hildesheim, das Festival findet alle 3 Jahre statt.

Das Festival hoergeREDE wird in Graz im Rahmen des Elevate-Festivals veranstaltet und findet einmal im Jahr im Herbst statt: dort führen Lyriker_innen mit Künstler_innen erarbeitete Performances auf.

Die Reihe Kellerkultur gibt es mehrmals im Jahr im Café Kabale in Göttingen zu hören, bei der ein bis zwei Autor_innen sämtlicher Genres lesen, eine Publikumsdiskussion schließt sich an.

In Berlin findet monatlich die Lesereihe Kabeljau & Dorsch statt, bei der immer fünf Autor_innen in den Locations der Gelegenheiten in der Weserstraße lesen. Für einen Leseplatz kann jede_r Interessierte Texte einsenden, die dann von den drei Organisator_innen kuratiert werden. Jede Veranstaltung wird mitgeschnitten und ist dann online nachhörbar.

Die Kölner Reihe Land in Sicht, die es seit Oktober letzten Jahres gibt, findet ebenfalls monatlich im Café Fleur statt, sie kombiniert lokale und externe Autor_innen aller Genres.

Die Dichtungsfans aus Frankfurt sind ein Verbund von Lyriker_innen, die in verschiedenen Formaten auftreten. Beispielsweise die Reihe Undercover, in der Lieblingsgedichte der Autor_innen ohne den Namen der Verfasser zu nennen vom Publikum diskutiert werden, wo Texte also „undercover“ auftreten.

Die Leipziger Reihe Hausdurchsuchung wird von Studierenden des Literaturinstituts an immer wechselnden Örtlichkeiten mit jährlich wechselnden Organisationsteams organisiert. Niemerlang, eine weitere Leipziger Reihe, findet im Café Tunichtgut mehrmals im Jahr statt. Dort lesen immer zwei Organisator_innen und zwei Externe.

Die Initiative Wortwechsel aus Jena arbeitet mit unterschiedlichen Formaten, u.a. kooperiert sie mit Babelsprech und der ACC Galerie Weimar für die Veranstaltung Babelsprech.live.

Die Münchner Lesereihe meine drei lyrischen ichs findet 3x pro Jahr im Einstein Kultur statt. Dabei gestalten bildende Künster_innen den Leseraum für die drei lesenden Lyriker_innen jedesmal neu, dabei wird auch mit Sound und Tanz gearbeitet. Die Reihe Liaison, eine weitere Münchner Reihe, stellt den Keller der kleinen Künste zur Verfügung. Die Lesungen sind stets Ergebnis einer Kooperation von Künstler_innen, Musiker_innen und Autor_innen.

In Salzburg sucht sich die Reihe Kulturkeule vier Mal im Jahr immer wechselnde Orte für Lesungen aus, mischt dabei regionale und externe Lesende, die anschließend auf dem Podium diskutieren. Organisiert wird die Reihe vom Salzburger Kunstkollektiv Bureau du Grand Mot.

In immer wechselnden WGs liest die Reihe zwischen/miete aus Freiburg, die von Studierenden organisiert und vom Literaturbüro unterstützt wird. Dieses Format gibt es mittlerweile auch in Stuttgart!

Die lokale Spannbreite der vertretenen Reihen wird noch einmal sichtbar(er) anhand der folgenden Karte (Graz ist zugegebenermaßen etwas nach oben gerutscht, damit es noch mit auf die Karte passt):

Lesereihen

 

 

 

Ergebnisse der Diskussionsrunden

In kleinen Gruppen fanden sich die Organisator_innen aus unterschiedlichen Lesereihen zusammen um entweder über die Erfahrungen im Umgang mit Institutionen, über Zielsetzung und Konzeption der Lesereihen oder über die möglichen Räumlichkeiten zu sprechen, die für Lesungen ausgesucht werden. In einem zweiten Block wurde dann der Umgang mit anderen Genres besprochen, über Öffentlichkeitsarbeit und über Möglichkeiten der Finanzierung geredet.

Es stellt sich heraus, dass das Verhältnis zu den Institutionen sich in den verschiedenen Städten ambivalent gestaltet. Teilweise wird die aktive Teilnahme der jungen Initiativen am literarischen Leben einer Stadt eher nicht gewünscht oder von etablierten Institutionen als Konkurrenz im Werben um Publikum empfunden. Kritisch wurden beispielsweise die Forderung nach einem Monopol der Literaturvermittlung aus Frankfurt gesehen. Hauke Hückstädt, Leiter des Frankfurter Literaturhauses, hatte in einem offenen Brief vom 10. Februar ein Alleinstellungsrecht des Literaturhauses gefordert. Er wirft darin anderen Initiativen der Stadt (seien sie frei oder von anderen Institutionen wie dem Literaturreferat ausgehend bzw. unterstützt) ihre Ambitionen vor, erwartet „Rückhalt“ und „Verzicht“ von ihrer Seite und kritisiert außerdem die Wahl von neuen, nicht etablierten Literaturorten.
Ein (Gegen-)Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit mit Institutionen hingegen ist Freiburg: die Lesereihe zwischen/miete wird vom dortigen Literaturbüro unterstützt, aber gleichzeitig in der Organisation völlig frei gelassen. Insgesamt wünscht man sich mehr Kooperation als Konfrontation.

Bei der Zielsetzung und Konzeption der verschiedenen Lesebühnen weichen die verschiedenen Ansätze stark voneinander ab: je nach Größe der Stadt, finanzieller Unterstützung, verfügbaren Räumen und adressiertem Publikum varriieren die Konzepte zum Teil erheblich. Das hängt besonders stark mit der Wahl der Räume zusammen: ob man kleine Lesungen etwa in Gummibärenläden oder in Fleischereien organisiert wie in Jena, ob man in einem Tanzstudio ein Festival mit verschiedenen Stationen entwirft, auf dem die Zuhörer_innen von einem zum anderen Leseort von Tänzer_innen geleitet werden wie etwa in Salzburg, oder ob man sich eine neue WG sucht für jede neue Lesung wie in Freiburg die zwischen/miete – die Wahl des Ortes und der Lesenden generiert ihr je eigenes Publikum und ihr je eigenes Formenspektrum. Gemeinsamer Nenner ist, dass die Lesereihen eine wichtige Funktion übernehmen, nicht-etablierte Literatur zugänglich zu machen und neues Publikum für Literatur zu begeistern. Es geht also nicht um das Revolutionieren von Lesebühnen, sondern um die besten Rahmenbedingungen für junge Literatur.

Auch beim Umgang mit anderen Genres gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Der Begriff „Genre“ kann ja auf zwei Weisen gedeutet werden: als innerliterarisches Spektrum von Prosa – Lyrik – Spoken Word – Graphic Novel, oder als Reihe unterschiedlicher Kunstgattungen zwischen Musik – Performance – bildender und darstellender Künste etc. An den Abenden der Liaison in München können sich Lesende und Musikmachende oder Performance-Künstler_innen zum Beispiel frei zusammentun und in einer Art „Ausprobierraum“ herumbasteln (so Ayna Steigerwald, Organisatorin der Reihe). Bei meine drei lyrischen ichs und dem Festival hoergeREDE arbeiten Vertreter_innen unterschiedlicher Kunstgattungen über lange Zeiträume zusammen, um gemeinsame Konzepte zu entwickeln. Allgemein war es den Teilnehmenden wichtig zu unterstreichen, dass das Kombinieren von verschiedenen Genres allein nicht ausreicht. Vielmehr kommt es auf einen produktiven Umgang mit den Genres und die Qualität der Beiträge und der Zusammenarbeit an.

Zum Thema Öffentlichkeitsarbeit konzentrierte sich die Diskussion auf den eigenen Internetauftritt und auf die Vermittlungsarbeit in Sozialen Netzwerken (v.a. Facebook). Als positives Beispiel wurde die Aufmachung von Kabeljau & Dorsch hervorgehoben, auf deren Homepage man Fotos und Aufnahmen der Veranstaltungen findet. Neben Sozialen Netzwerken wurde die Bedeutung von Mundpropaganda betont. Doch wie bei anderen Aspekten auch, hängt die jeweilige Werbestrategie stark von der jeweiligen Stadt und dem Format der Reihe ab.

Beim Thema Finanzierung waren sich schließlich alle Teilnehmenden einig, dass weiterer Diskussionsbedarf besteht. Denn bei den meisten der Lesereihen handelt es sich um Low oder No-Budget-Veranstaltungen, womit keiner so richtig glücklich ist. Der Versuch, durch Crowd Funding Lesebühnen zu finanzieren, hat sich als nicht erfolgreich erwiesen. Dieses Finanzierungsmodell scheint eher produkt- und nicht veranstaltungsorientiert zu funktionieren. Die Lesereihen wollen künftig mehr miteinander kooperieren und sich auch über andere Finanzierungsmöglichkeiten austauschen.

 

Was beschlossen wurde
Es soll eine gemeinsame Initiative der jungen Lesereihen geben, und diese soll 4 Ziele haben:

1) gemeinsames Auftreten, gesteigerte Aufmerksamkeit
2) interner Austausch über Ideen, Fragen, Autorinnen, etc.
3) Motivation und Beratung für entstehende neue Reihen
4) Website (Initiativen vorstellen, Forum), die im Sommer fertig werden soll

Auf der Abschlussveranstaltung des Treffens, die am Abend des zweiten Tages im Lyrik Kabinett stattfand, wurde von den Organisator_innen noch einmal das wichtigste zusammengefasst und im Anschluss daran gab es dann noch eine Lesung. Ein bunt zusammengemischtes Programm wartete auf das Münchner Publikum, es wurden von Autor_innen aus unterschiedlichsten Lesereihen Texte gelesen. Zum genauen Ablauf des Abends könnt ihr hier den jüngst erschienen Artikel im Signaturen Magazin von Katharina Kohm lesen.

 

Stimmen zum Treffen

Nikola Müller (Kellerkultur): Es war sehr motivierend zu sehen, was in anderen Städten für tolle Sachen passieren und wie alle für die Sache brennen.

Chris Möller (Kabeljau & Dorsch): Dass wir uns vernetzen, die Kräfte bündeln, dass wir eine Basis schaffen, auf der es diese vielen verschiedenen Leseformate auch in 5 Jahren noch gibt. Und dass wir eine Tür aufmachen für Leute, die in anderen Städten ähnliches machen wollen.

André Patten (Land in Sicht): Eine längere Kooperation fände ich gut. Jährliche Treffen wären sicher sinnvoll (zum Beispiel wechselnde Orte oder bei der Buchmesse).

Heike Fröhlich (Organisatorin): Dass gleich so viele neue Fragen und Ideen entstehen, das hätte ich nicht erwartet. Es wurden sozusagen mehr Fässer aufgemacht, als eine Gruppe Literaturdurstiger in zwei Tagen jemals hätte leertrinken können. Das war umwerfend!

Holger Pils (Leiter des Lyrik Kabinetts München): Ich bin mir sicher, dass sich der Austausch hier gelohnt hat. Was ich erlebt habe, war eine super Atmosphäre, in der locker und frei, aber in der Sache – wo es um die Literatur geht, um Motivation, Ansprüche – auch sehr ernsthaft diskutiert wurde. Das habe ich selber als anregend empfunden, weil ich vieles ähnlich empfinde, auch wenn das Lyrik Kabinett ein etablierter Lesungs-Ort ist. Unterschätzt habe ich, wie problematisch andernorts offensichtlich die Zusammenarbeit freier Lesebühnen mit Institutionen ist. Vielleicht war es daher ganz gut, einiges aus deren Sicht zu schildern, wie ich das am Samstag versucht habe. Auch, um zu ausdauernden Kooperationsversuchen zu motivieren.

 

* Das Treffen junger Lesereihen mit Lyrikschwerpunkt wurde unterstützt vom Lyrik Kabinett und vom Deutschen Literaturfonds.

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